Naturschutz – aber wie?

Von neun „Planetaren Grenzen“, deren Einhaltung für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen unabdingbar ist, sind vier überschritten. Am dramatischsten ist die Situation – entgegen der öffentlichen Wahrnehmung – nicht beim Klimawandel, sondern beim Schwund der Biodiversität. Nicht nur in Deutschland und Europa, sondern weltweit sind immer mehr Tier- und Pflanzenarten gefährdet: nach dem UN-Bericht vom Mai 2019 bis zu einem Achtel (!) aller bekannten Arten. Die Aussterberate liegt um den Faktor 500 höher als vor der Industrialisierung.

Naturschutzgebiete sollen eigentlich dafür Sorge tragen, dass dort die Biodiversität erhalten bleibt. Deshalb darf die Nutzung dem Schutzzweck nicht entgegenwirken. In der Praxis ist das leider oft Interpretationssache: werden Flächen in Naturschutzgebieten beispielsweise landwirtschaftlich genutzt, ist die Verwendung von Pestiziden zwar eingeschränkt, aber immer noch erlaubt. Oft ist die Finanzierung zu niedrig oder völlig ungesichert.

Ziele des Naturschutzes

Die allgemeinen Ziele des Naturschutzes liegen im Erhalt der biologischen Vielfalt, der Eigenart und Schönheit von Natur und Landschaft . Außerdem sollen die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts, also z.B. Bestäubung, Wasserbereitstellung oder CO2-Speicherung, erhalten bleiben. Unterschieden werden dabei der Biotopschutz als Erhalt von Lebensräumen für Arten, und der Artenschutz, der sich auf einzelne Arten bezieht.

Um diese Ziele zu erreichen, muss neben der eingeschränkten Nutzung oft Landschaftspflege betrieben werden. Beispielsweise müssen Magerwiesen jedes Jahr gemäht werden, um der Verbuschung vorzubeugen. Hier wird also in die natürliche Sukzession eingegriffen, die beim derzeitigen Klima in Mitteleuropa auf den meisten Flächen langfristig einen offenen Laub-Mischwald zur Folge hätte. Die Mahd ersetzt die früher übliche extensive Beweidung durch Rinder, Schafe oder Ziegen, die ohne Einsatz von Dünger oder Einsaat wuchsstarker Grasarten erfolgte.

Seit dem Beginn des 21. Jahrhunderts und den deutlich spürbaren Einflüssen des Klimawandels kommt dem Naturschutz zusätzlich die Aufgabe zu, Ökosysteme resilienter, also widerstandsfähiger, zu gestalten.

Geschichte des Naturschutzes in Deutschland

Die erste geschichtliche Erwähnung lässt sich auf das Jahr 1237 datieren. Damals wurde zwar noch nicht von Naturschutz gesprochen. Trotzdem wurden Kahlschläge von Wäldern, um Almweiden zu schaffen, durch Erzbischof Eberhard von Regensburg verboten. Im Jahr 1310 wurde der Wald im „Waldbann von Amberg“ unter besonderen Schutz gestellt. Alexander von Humboldt prägte dann einige Jahrhunderte später den Begriff „Naturdenkmal“ für besonders ästhetische Landschaftselemente.

Das erste Naturschutzgebiet auf deutschem Boden entstand dann 1835 in Sachsen. Anfangs engagierten sich vorwiegend Einzelpersonen im Naturschutz, später schlossen sich immer mehr Bürger in Naturschutzvereinen, wie 1861 im „Schwarzwaldverein“, zusammen. Das preußische Schutzwaldgesetz 1875 markiert den Beginn der modernen Naturschutz-Gesetzgebung. International betrachtet liegen die Ursprünge des Naturschutzes im angelsächsischen Raum: bereits 1864 wurde ein Gebiet im heutigen Yosemite-Nationalpark unter Schutz gestellt, im Jahr 1872 folgte der Yellowstone National Park.

Das erste internationale Abkommen über die biologische Vielfalt wurde allerdings erst 1992 auf der UN-Umweltkonferenz in Rio de Janeiro beschlossen. Dieses bildet die Grundlage für viele deutsche und auch europäische Umweltschutzgesetze. Aus dem Abkommen entwickelten sich das europäische „Natura 2000“ Naturschutzgebiet-Netzwerk und auch die deutsche Reform des Bundesnaturschutzgesetzes von 2002. Dieses sah vor, mindestens 10% der Landesfläche jedes Bundeslands für die Schaffung eines Biotopverbands zur Verfügung zu stellen; eine Forderung, die in die nachfolgende Fassung von 2009 übernommen wurde. Mit der Umsetzung sieht es nicht so rosig aus: noch immer existieren nicht für alle Schutzgebiete Managementpläne, und den Behörden auf kommunaler und Landes-Ebene fehlen personelle wie finanzielle Ressourcen.

Die Situation der Ökosysteme und Schutzgebiete in Deutschland

Trotz der erlassenen Gesetze ist die Artenvielfalt in Deutschland in keinem guten Zustand. Denn die Roten Listen zeigen einen Rückgang der biologischen Vielfalt an. Rund 26 % der 3000 einheimischen Farn- und Blütenpflanzen sind vom Aussterben bedroht. 2 % sind bereits ausgestorben oder verschollen. Bei den Tierarten sind 36 % bedroht und 3 % ausgestorben oder verschollen.

Der Zustand der Lebensräume ist sogar noch schlechter: 70 % werden als gefährdet eingestuft. Damit ist der vermeintliche Musterschüler Deutschland trauriges Schlusslicht in der Europäischen Union.

Eine nationale Strategie zur biologischen Vielfalt wurde erst 2007, 15 Jahre nach dem internationalen Abkommen in Rio de Janeiro, beschlossen. Die Strategie enthält einen Katalog von insgesamt 330 Zielen, verknüpft mit 430 Maßnahmen zum Erhalt der Artenvielfalt. Hervorzuheben ist auch die Life-Web-Initiative der Bundesregierung, die jährlich 500 Mio. € für den Schutz von Wäldern und anderen Ökosystemen bereitstellt. Dieses Projekt ist allerdings 2014 ausgelaufen, seitdem gibt es keine Gelder mehr für die Initiative. Die Ziele der Strategie konnten folglich auch nicht erreicht werden – es fehlt an verlässlichen Geldern für den Naturschutz.

Negative Entwicklungen in Europa

Laut Bericht der EU-Kommission zum Zustand der Biotope in Europa sind die Natura 2000-Gebiete besonders vom Klimawandel betroffen. Die Anpassung an die sich ändernden Umweltbedingungen sind nur mit Hilfestellung möglich. Und die ist auch nötig: Auf den europäischen roten Listen stehen 23 % der Amphibien, 17 % der Säugetiere und 13 % der Vögel in der Kategorie „stark gefährdet“.

Ein Drittel der Lebensräume, die nach der Flora-Fauna-Habitat-Richtline (FFH) geschützt sind, befinden sich in ungünstigem, aber immerhin stabilem Zustand.  it sich verschlechternder Tendenz . Dramatisch ist die Situation bei den Mooren: 80% befinden sich in schlechtem Zustand, bei der Hälfte geht die Tendenz weiter nach  .

Durch die Verringerung der Einleitung von Schadstoffen aus der Landwirtschaft weisen die Grundwasserkörper in Europa in der überwiegenden Zahl der Fälle einen guten bis sehr guten Zustand auf.  Gefährdungen liegen beim Grundwasser vor allem in Deutschland durch Nitratverunreinigung vor, aber auch in anderen Staaten durch alte Industrie- und Bergbaustandorte. Die Oberflächengewässer weisen aber einen wesentlich schlechteren Zustand auf: Nur 38% der Gewässer sind in einem guten ökologischen Zustand. Dabei sind vor allem die Gewässer in Deutschland, Italien, Frankreich, Südschweden und im südlichen Großbritannien belastet. Verantwortlich für den schlechten Zustand ist laut europäischem Gewässerbericht Quecksilber aus Thermometern, Batterien und Farben sowie Cadmium aus Phosphat-Düngern und Metallprodukten.[1][2]

Die europäischen Meere werden gnadenlos überfischt, nur 20 % der Fischbestände gelten als stabil.  Im Mittelmeer sind sogar 93 % der Bestände überfischt. Die Einführung der Gemeinsamen Fischereipolitik der Europäischen Union1983 sollte durch die Einführung von Fangquoten den langfristigen Erhalt der Fischbestände sichern. Allein: die Vorschläge der wissenschaftlichen Berater werden regelmäßig vom Rat der Mitgliedsstaaten ignoriert.

Ob an Land oder auf See: Um tatsächlich eine Wende einzuleiten, bräuchte der europäische Naturschutz nach Berechnungen des WWF 5,8 Milliarden Euro pro Jahr. Über die LIFE-Initiative der europäischen Kommission, die die Mitgliedsstaaten bei der Erhaltung der Schutzgebiete unterstützen soll, kommen derzeit lediglich 3,2 Mrd. € im Projektzeitraum 2014-2020 zusammen. Zusätzlich können jährlich Mittel in Höhe von bis zu 27 Mrd. € über den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums abgerufen werden. Allerdings müssen die Länder diese Mittel kofinanzieren, also eigenes Geld zuschießen. Deshalb kommen nur wenige Projekte zustande – im Durchschnitt werden nur 1,16 Mrd. € durch die Mitgliedsstaaten abgerufen. Dies ist mit einer der Gründe, warum wir einen eigenständigen Naturschutzfonds fordern – die Projektträger*innen dürfen nicht von der Kassenlage der Staaten abhängig sein.

EU-Strategie zur biologischen Vielfalt

Um die internationale Artenschutzkonvention von 1992 endlich umzusetzen, hat die EU-Kommission 2006 einen Aktionsplan entwickelt. Das Ziel war damals, den Verlust der Artenvielfalt bis 2010 zu stoppen. Um dies zu erreichen, sollten die ebenfalls 1992 verabschiedete Flora-Fauna-Habitat Richtline und darauf aufbauend das   umgesetzt und besser geschützt werden. Das Natura 2000-Netz besteht aus 27.000 Schutzgebieten in ganz Europa und bedeckt 19 % der Fläche – auf dem Papier.   Deshalb erklärte die EU-Kommission 2010 auf der 10. Konferenz über die biologische Vielfalt in Japan das neue Ziel: Den Verlust der Artenvielfalt bis 2020 zu stoppen.

Dafür wurden sechs Handlungsfelder definiert:

  1. Erhaltung und Wiederherstellung der Natur
  2. Erhaltung und Verbesserung der Ökosysteme und deren Leistungen
  3. Sicherstellung einer nachhaltigen Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Fischerei
  4. Bekämpfung invasiver gebietsfremder Arten
  5. Bewältigung der globalen Biodiversitätskrise
  6. Beiträge anderer Umweltmaßnahmen und Umweltinitiativen

Allerdings fehlt es an nationalen und regionalen Kriterien für den günstigen Erhaltungszustand einer Art beziehungsweise eines Lebensraumtyps. Ebenso bedürfen die EU-Leitfäden, in denen Verträglichkeitsprüfungen und Artenschutzmaßnahmen ausbuchstabiert werden, dringend einer Überarbeitung. Gemeinsame Standards für die Überwachung sollten in einer Umwelt-Inspektionsrichtlinie festgelegt werden. Und die EU sollte viel schneller tätig werden, wenn bspw. mittels satellitengestützter Erkundung erkannt wird, dass in Schutzgebieten illegal Holz eingeschlagen wird und der betroffene Mitgliedsstaat nicht handelt.

Zwischenbilanz zur Umsetzung

Da das neue Ziel auch eine Kontrolle über die Umsetzung der Handlungsfelder beinhaltet, erschien 2015 eine Zwischenbilanz der EU-Kommission. Tatsächlich gibt es einige Verbesserungen: Die Zahl der Arten und Lebensräume mit „sicherem/günstigen/verbesserten“ Erhaltungszustand ist leicht angestiegen, und es konnten mehr finanzielle Ressourcen für den Naturschutz mobilisiert werden.

Allerdings ist die Verschlechterungstendenz bei vielen Ökosystemen weiterhin vorhanden. Ein Großteil der Verschlechterung kann auf die Landwirtschaft zurückgeführt werden: zwar nimmt die absolute Masse der ausgebrachten Pestizide ab, aber die Wirksamkeit der eingesetzten Substanzen ist viel stärker. Zudem verschwinden kleinstrukturierte Agrarlandschaften mit Hecken und kleinen Feuchtgebieten, die Insekten, Vögeln und Kleinsäugern Schutz und Nahrung bieten. Hinzu kommt, dass sich die genannten positiven Entwicklungen bei Weitem nicht schnell genug vollziehen, um das Ziel bis 2020 zu erreichen. Es wird also so kommen wie 2010, dass die EU ihre Ziele nicht erreichen wird.

Ein Lösungsansatz: Verbindliche Naturschutzfonds

Funktionierender Naturschutz braucht verbindliche Budgets – und das über lange Zeiträume. Wenn es immer nur Projekte mit begrenzten Laufzeiten gibt, brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn die Ziele nicht erreicht werden.  Um das Problem anzugehen, brauchen wir einen Naturschutzfonds in Höhe von 15 Milliarden Euro, um Land- und Forstwirt*innen für die Naturschutzleistungen zu honorieren. Nur wenn wir den Praktiker*innen vor Ort genügend finanzielle Mittel zur Erhaltung der Ökosysteme bereitstellen, kann der Biodiversitätsschwund aufgehalten werden.

2020 steht die Biodiversitätskonferenz in Peking an. Es wäre ein starkes Signal, wenn die Europäische Union zehn Prozent ihres Haushalts für Naturschutzmaßnahmen einstellen würde. Denn hier geht es um unsere Überlebensgrundlagen!