35 Jahre Nuklearkatastrophe von Tschernobyl: Wir brauchen einen europaweiten Atomausstieg!
Am 26. April 1986 ereignete sich im Atomkraftwerk Tschernobyl eine nukleare Katastrophe, die unzählige Tote, Verletzte und Erkrankte zur Folge hatte und die bis heute nachwirkt. Auch 35 Jahre später sind die Folgen des GAUs europaweit zu spüren. Wildschweine und Pilze sind radioaktiv belastet, Brust- und Schilddrüsenkrebsfälle in den betroffenen Regionen liegen noch immer über dem Durchschnitt. Als 2020 in der Sperrzone um das Kraftwerk Waldbrände wüteten, rückten die langfristigen Gefahren der Atomkraft wieder in den Fokus der Weltöffentlichkeit. Tschernobyl ist unser Mahnmal für die Unberechenbarkeit der Atomkraft.
Während Deutschland bis Ende 2022 komplett aus der Kernenergie aussteigen wird, halten andere europäische Staaten weiterhin an der Atomkraft fest oder planen gar den Einstieg. Frankreich macht Ernst mit der Laufzeitverlängerung seiner 900-Megawatt-Atomreaktoren, immerhin 32 seiner insgesamt 58 AKWs. Und das obwohl diese ihre maximale Laufzeit von 40 Jahren erreicht haben und ihre Sicherheitskonzepte noch aus den 1960er und 1970er Jahren stammen. Die Reaktoren sind technisch nicht nachrüstbar, um heutige Sicherheitsstandards zu erfüllen. Die Gefahr wächst mit zunehmendem Alter der Reaktoren, das Material ermüdet durch die immense Strahlenbelastung, und relevante Bauteile im Inneren der Reaktoren können nicht ausgetauscht werden. Trotzdem sollen sie noch weitere 20 Jahre am Netz bleiben und unter anderem sogenannten „gelben Wasserstoff“ produzieren. Polen und die Slowakei planen den Einstieg in die Atomkraft und auch Schweden und Finnland liebäugeln mit sogenannten “Kleinen Modularen Reaktoren” als vermeintliche Lösung für die Klimakrise.
Atomkraft ist extrem teuer, nicht versicherbar, die Schäden von Unfällen sind gigantisch und wir wissen noch immer nicht, wo wir den Müll für hunderttausende Jahre einlagern können. Selbst, wenn Atomstrom sauber und nachhaltig wäre, dauert es viel zu lange, um die enorme Zahl notwendiger Kraftwerke zu bauen. Die durchschnittliche Bauzeit in Europa beträgt fast 20 Jahre für einen Reaktorblock. Das ist Zeit, die wir in der Klimakrise nicht haben. Atomkraft ist nicht nur keine Lösung gegen die Erderwärmung, sondern auch nicht krisenfest. Waldbrände, Dürren und Überflutungen werden in Zukunft weiter zunehmen und auch die Sicherheit europäischer Kraftwerke bedrohen. Jedes Atomkraftwerk in Europa ist eine Bedrohung für den gesamten Kontinent.
Atomkraft ist keine Technologie der Zukunft. Obwohl es längst kostengünstige, klimafreundliche und umweltschonende Alternativen gibt, halten europäische Länder an der Nuklearenergie fest. Letztes Jahr überstieg die in der EU installierte Solarkapazität mit 130 GW jene der Atomkraft mit 116 GW. Windenergie hat die Atomkraft bereits 2014 überholt. Erneuerbare Energien (inklusive Wasserkraft) haben 35 Prozent des Stroms erzeugt, während es bei der Atomkraft nur 25,5 Prozent waren. Gerade Deutschland, wo der Atomausstieg beschlossene Sache ist, muss federführend für einen europäischen Ausstieg aus der Kernenergie eintreten und andere Staaten bei der Energiewende unterstützen.
Unter dem Vorwand der „technologischen Neutralität“ droht weiterhin die Klassifizierung von Atomstrom als nachhaltige Energiequelle. Nach den neuen EU-Finanzierungsregeln, der sogenannten Taxonomie, gelten Finanzprodukte nur als „nachhaltig“, wenn die damit finanzierten Technologien keinen signifikanten Schaden anrichten können. Weil mehrere EU-Mitgliedstaaten Druck machen, Atomkraft als nachhaltig und sicher zu klassifizieren, wurde die Entscheidung an Expertengruppen abgeschoben, die im Juni 2021 zu einer abschließenden Bewertung kommen wollen. In einem vorab publizierten, anonymen Dokument von Forschern der Europäischen Atomgemeinschaft wird Atomkraft als nicht schmutziger oder umweltschädlicher als andere in der Taxonomie erwähnte Technologien bezeichnet. Dabei verseucht der Uranabbau ganze Landstriche, und wir wissen bis heute nicht, wo Millionen Kubikmeter hochradioaktiven Atommülls für hunderttausende Jahre sicher deponiert werden sollen.
Sollte Atomkraft im Sommer als grüne Technologie eingestuft werden, drohen in Zukunft Milliarden Euro aus dem Europäischen Grünen Deal in Atomkraftwerke zu fließen. Gelder, die dann für den Ausbau Erneuerbarer Energien, den Umbau unserer Wirtschaft und die Forschung fehlen werden. Dabei darf der Europäische Grüne Deal nicht als Finanzspritze für marode, unwirtschaftliche Atomkraftwerke missbraucht werden, sondern muss die Weichen für eine nachhaltige und sichere Zukunft für nachfolgende Generationen legen. Die Klimakrise erfordert schnellstmögliches Handeln. Jeder Cent für die Atomkraft ist ein Cent weniger für Erneuerbare Energien, Speicher und grünen Wasserstoff.