Das ohrenbetäubende Schweigen der Präsidentin
Wie viel Natur steckt eigentlich im Green Deal? Wenn es nach der Green Deal-Chefin, Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, geht, sehr viel. Bei der Lage der Europäischen Union skizzierte sie ein Europa, das beim Naturschutz im Grunde am Ziel ist. Doch weder sind wir am Ziel, noch ist das Ziel in greifbarer Nähe. Im Gegenteil. Aus ihrer eigenen Partei, der konservativen EVP, kommt vor allem eins: Dauerfeuer gegen den Wiederaufbau der Natur. 3 Fakten, warum die Rettung der Natur gefährdet ist – und was wir jetzt brauchen.
Wider den Interessen der Natur und Wirtschaft
Blicken wir kurz auf den Zustand vor unserer Haustür: Laut neuester Studie sind sechs von neun Planetare Grenzen überschritten. Erderhitzung, Verlust an Biodiversität, Entwaldung, Schadstoffe und Plastik in der Umwelt, Rückgang der Süßwasservorräte und die krasse Veränderung der Stickstoff- und Phosphorkreisläufe sind die Ursachen dafür. Anders gesagt: Wir machen gerade gehörig was falsch und das zeigt sich beispielsweise daran, dass seit 1980 allein in Europa 50 % der Agrarvögel verschwunden sind. Hauptverursacher: die intensive Landwirtschaft.
Trotz dieser dramatischen Entwicklung hielt es EVP-Chef Manfred Weber und seine Fraktion nicht davon ab, einfach aus den Verhandlungen zum Gesetz zur Rettung der Natur auszusteigen. Und es hielt sie auch nicht davon ab, im Parlament am Ende gegen das komplette Gesetz zu stimmen. Wir konnten die Blockade mit Mühen überwinden, aber in sicheren Gewässern sind wir damit noch immer nicht. An allen Ecken und Enden blockieren sie derzeit die Behebung der Ursachen, die zum Massensterben von Insekten, Vögeln oder perspektivisch aller Ökosysteme führt oder führen wird, wenn wir weiterhin die planetaren Grenzen derart extrem überschreiten. Der Zustand der Natur ist katastrophal und die EVP nimmt es achselzuckend hin.
Der Green Deal? Die Lösung der Zwillingskrise
Das Gesetz zur Rettung der Natur? Will die EVP nicht. Die Reduzierung der Pestizide um 50 % auf unseren Äckern und Lebensmitteln? Will die EVP nicht. Eine giftfreie Natur, die frei von gefährlichen Chemikalien ist? Will die EVP nicht. Dabei ist genau das ein Kernanliegen des Green Deals, den Kommissionschefin von der Leyen am Anfang ihrer Regierungszeit verkündete. Er beherbergt den Schutz unserer natürlichen Ressourcen, genauso wie den Schutz des Klimas. Beide Ebenen hängen eng miteinander zusammen, doch der Schutz der Natur kommt derzeit unter die Räder.
Dabei ist klar: Werden Wälder geschützt, kann das der Artenvielfalt und dem Klima nützen. Der Green Deal ist unsere Chance für unsere Lebensgrundlage und die Wirtschaft. Nach Berechnungen des Weltwirtschaftsforums hängt die Hälfte der globalen Wirtschaftskraft von Leistungen der Natur ab – von der Bestäubung durch Insekten bis hin zur Verfügbarkeit sauberen Trinkwassers. Ohne die Natur geht es wirtschaftlich hart bergab.
Erpressungsversuch von Manfred Weber
Und was sagt Manfred Weber dazu? Der erpresst von der Leyen. In seiner Erwiderungsrede auf die Kommissionspräsidentin ließ es sich Manfred Weber nicht nehmen, gegen die Politik von der Leyens auszuteilen. Er betonte, dass die EVP die Partei der Bauern und des ländlichen Raumes sei. Das war eine klare Ansage an Frau Von der Leyen: Willst du weitere fünf Jahre Kommissionspräsidentin sein, dann musst du nach meiner Pfeife tanzen. Und tut sie das?
Es gibt viele Anzeichen dafür. Nicht nur, dass von der Leyens Schweigen auf die Angriffe auf das Gesetz zur Rettung der Natur ohrenbetäubend laut war, jetzt scheint sie sich vollends auf Weberkurs zu begeben. Inwiefern? Drei Indizien, die dafür sprechen.
3x gegen die Natur
Erstens: Nach dem Wechsel von Vizepräsident Frans Timmermans in die niederländische Politik wurde Maroš Šefčovič als Kommissar für den Green Deal berufen. In seinem „Mission Letter“, also seinem Arbeitsauftrag, wies Von der Leyen ihn an, den Dialog mit der Industrie sowie den Interessensvertretern aus Wald- und Agrarindustrie zu intensivieren.
Zweitens: Die Verlängerung des Totalherbizids Glyphosat steht kurz bevor. Trotz erheblicher Datenlücken im Zulassungsdossier, trotz verheerender Auswirkungen auf die Biodiversität, will die Kommission eine Empfehlung an den Rat aussprechen, die Zulassung für 15 Jahre zu verlängern. Bitte protestiert dagegen! Es ist unsere letzte Chance.
Und zu guter Letzt: In bewusster Abgrenzung zum Green Deal lädt die EVP-Fraktion im Europäischen Parlament am 19.09.2023 zu einer Veranstaltung mit dem Titel: „European Farmers Deal – Eine EVP-Vision für die Bauern Europas“ ein. Ausgerechnet Frau Von der Leyen wird die Eröffnungsrede halten. Die EEP zeigt damit offen, dass sie aus dem Green Deal einen Farmers Deal machen will – was auch immer das sein soll.
Und nun? Ursula von der Leyen hatte mit dem Green Deal einen ambitionierten Plan vorgelegt und wichtige Vorhaben angestoßen. Doch sie hat die Widerstände aus ihrer eigenen Partei unterschätzt. Manfred Weber hat keinerlei Skrupel, den Green Deal zu sabotieren. Aktuell scheint es so, dass aus dem Klima-Deal, den wir schon erkämpft haben, noch ein Green Deal werden kann. Doch dafür müsste Von der Leyen gegenüber dem Störfeuer aus der eigenen Partei standhaft bleiben. Ruhe vor Webers Angriffen wird sie erst dann haben, wenn sie sich endlich erklärt, ob sie eine zweite Amtszeit anstrebt – und die EVP ihre erneute Kandidatur als Kommissionspräsidentin unterstützt.