EU-Renaturierungsgesetz: Ein Rettungsplan für unsere Ökosysteme

30. Juni 2022

EU-Renaturierungsgesetz: Ein Rettungsplan für unsere Ökosysteme

Am 22. Juni hat die Europäische Kommission endlich – ein halbes Jahr später als geplant und nach zweimaliger Verschiebung – das neue EU-Renaturierungsgesetz vorgestellt. Das Warten hat sich gelohnt, denn viele der Punkte, für die ich mich im letzten Jahr stark gemacht habe, haben es in den Kommissionsvorschlag geschafft. Das neue EU-Renaturierungsgesetz hat das Potenzial, den Arten- und Klimaschutz in der Europäischen Union maßgeblich voranzubringen und globale Standards zu setzen. Der Weltklimarat hat es klar formuliert: ohne Renaturierung kann das Ziel, die Erderhitzung unter 2 Grad Celsius zu halten, nicht erreicht werden!

Was ist das EU-Renaturierungsgesetz und warum brauchen wir es?

Das EU-Renaturierungsgesetz ist ein zentraler Bestandteil des Europäischen Green Deal und das erste echte europäische Naturschutzgesetz seit mehr als zwanzig Jahren. Es wurde im Rahmen der EU-Biodiversitätsstrategie angekündigt und in Form einer Verordnung vorgelegt. Das bedeutet, dass es nach Abschluss der Verhandlungen in Europaparlament und Rat der Mitgliedstaaten unmittelbar in Kraft tritt und nicht in nationales Recht umgesetzt werden muss.

Laut Definition der Gesellschaft für ökologische Wiederherstellung ist Renaturierung „ein lösungsorientierter Ansatz, der Gemeinden, Wissenschaftler*innen, politische Entscheidungsträger*innen und Landnutzer*innen einbindet, um ökologische Schäden zu beheben und eine gesündere Beziehung zwischen Mensch und Natur wiederherstellt“. Renaturierung schützt die biologische Vielfalt, verbessert Gesundheit und Wohlbefinden der Menschen und erhält die Wasser- und Nahrungsmittelsicherheit.

Mit der EU-Habitat-Richtlinie und der EU-Vogelschutzrichtlinie sowie mit der Ausweisung von Natura 2000-Schutzgebieten wurde in den vergangenen 20 Jahren wertvolle Vorarbeit geleistet. Mehr als ein Fünftel der Landfläche Europas sowie sechs Prozent der europäischen Meere machen das Natura 2000-Netz zu einem der größten zusammenhängenden Netzwerke von Schutzgebieten weltweit. Die letzten zwanzig Jahre haben aber gezeigt, dass die EU-Mitgliedstaaten mit der Umsetzung bestehender Gesetze hinterherhinken und bereits die alten Schutzvorgaben nicht einhalten.

Laut Europäischer Umweltagentur wurden die Ziele der EU-Biodiversitätsstrategie 2020 verfehlt und der Erhaltungszustand europäischer Tierarten und Ökosysteme hat sich im Zeitraum 2013 bis 2018 verschlechtert. Ganze 81 Prozent der europäischen Schutzgebiete befinden sich in einem schlechten Zustand. Der Weltbiodiversitätsrat stuft Europa nach Indien als die Region mit der am wenigsten intakten Artenvielfalt ein. Das hat auch Folgen für uns Menschen, denn ohne gesunde Ökosysteme stehen uns weder trinkbares Wasser, noch saubere Luft, fruchtbare Böden, fischreiche Ozeane, bestäubte Obstbäume, biobasierte Wirkstoffe und vieles mehr zur Verfügung.

Das bloße Ausweisen von Flächen reicht natürlich nicht für effektiven Naturschutz, denn in der Umsetzung fehlt es oft an wirksamen Managementplänen zur Erreichung des Schutzziels für bedrohte Arten und Lebensräume in den Natura 2000-Schutzgebieten. Deshalb laufen auch gegen Deutschland seit Jahren mehrere Vertragsverletzungsverfahren. Das EU-Renaturierungsgesetz soll nicht nur das bestehende EU-Naturschutzrecht verbessern, sondern zusätzliche, bindende Maßnahmen zur Wiederherstellung bereits zerstörter Lebensräume beinhalten.

Was steht im Kommissionsvorschlag zum neuen EU-Renaturierungsgesetz?

Der Kommissionsvorschlag zum EU-Renaturierungsgesetz stellt klar: Nahrungsmittelsicherheit und Naturschutz stehen nicht im Widerspruch zueinander. Mit dem fadenscheinigen Argument einer angeblichen Lebensmittelknappheit in Europa gab es in den letzten drei Monaten Bestrebungen großer Agrarindustrieverbände und einzelner politischer Akteur*innen, nicht nur Naturschutzstandards abzuschwächen, sondern den kompletten Bereich „Umwelt“ des Green Deals auf Eis zu legen. Die Europäische Kommission nimmt diesen Angriffen den Wind aus den Segeln und betont, dass gesunde Ökosysteme Voraussetzung für langfristige Lebensmittelsicherheit sind.

Die Europäische Kommission schlägt vor, bis zum Jahr 2030 auf mindestens 20 Prozent der Landflächen und Seegebiete in der EU Maßnahmen zur Renaturierung vorzunehmen. Hierfür werden die EU-Mitgliedstaaten verpflichtet, nationale Renaturierungspläne vorzulegen, um mindestens 30 Prozent der terrestrischen und marinen Ökosysteme, die sich in keinem guten Erhaltungszustand befinden, bis zum Jahr 2030 wiederherzustellen. Bis 2040 sollen 60 Prozent und bis 2050 mindestens 90 Prozent der Ökosysteme renaturiert sein. Des Weiteren fordert die Europäische Kommission artenspezifische Maßnahmen zur Biotopvernetzung von den Mitgliedstaaten ein und setzt Etappenziele bis 2030, um den Erfolg der Renaturierungsmaßnahmen sicherzustellen und Verzögerungen zu verhindern.

Gerade in Ballungsräumen kommt es durch die immer heißer werdenden Sommer zu gefährlichen Hitzewellen. Naturbasierte Lösungen können hier einen effektiven Beitrag zur Klimafolgenanpassung und somit auch zum Gesundheitsschutz leisten. Deshalb soll es bis 2030 nach dem Willen der Kommission keinen Nettoverlust an städtischen Grünflächen, einschließlich der städtischen Baumkronen, mehr geben. Stattdessen sollen diese Flächen im landesweiten Durchschnitt bis zum Jahr 2040 um mindestens drei Prozent und bis 2050 um fünf Prozent zunehmen. Das erhöht nicht nur die subjektive Lebensqualität, sondern senkt auch nachweislich das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Atemwegserkrankungen und Depressionen.

Rund 20 Prozent der europäischen Gewässer werden durch Barrieren wie Staudämme, Wehre und Schleusen beeinträchtigt. In europäischen Flüssen befinden sich etwa eine Million Barrieren, von denen mindestens zehn Prozent keinen aktuellen Nutzen mehr haben. Die Beseitigung dieser überflüssigen Barrieren kann einen wichtigen Beitrag für mehr Arten- und Naturschutz leisten. Auch der Hochwasserschutz profitiert, denn bei naturbasierter Hochwasservorsorge spart jeder investierte Euro rund fünf Euro mögliche Flutschäden. Die Kommission schlägt daher als Renaturierungsziel mindestens 25.000 km freifließende Flüsse und Bäche bis 2030 vor.

In der Europäischen Union machen entwässerte Moore zwei Prozent der landwirtschaftlichen Fläche aus, aber sie sind für 20 Prozent der landwirtschaftlichen Emissionen verantwortlich. Wir brauchen Feuchtgebiete als natürliche Kohlenstoffsenken für die Speicherung von Treibhausgasen und zur Klimafolgenanpassung. Deshalb ist die Wiedervernässung von Feuchtgebieten wie Mooren und Auen sowie die Renaturierung von Seegraswiesen unerlässlich. Hier geht der Kommissionsvorschlag nicht weit genug! Auf Druck der irischen EU-Kommissarin, die ihre heimische Torfindustrie verteidigt, und der mächtigen Agrarlobby wurden Ausnahmeregelungen, hinsichtlich der Wiedervernässung von Mooren aufgenommen. So sollen Wiedervernässungsprojekte in Torfabbaugebieten auf das Gesamtziel von 30 Prozent bis 2030 angerechnet werden können. Dabei ist das kennzeichnende Merkmal von Mooren ja der Torf! Wenn dieser abgebaut wurde, dauert es Jahrzehnte, bis überhaupt wieder Moorboden entstanden ist. Ich werde mich für die Streichung solcher Rechentricks aus dem Renaturierungsgesetz einsetzen.

Die Kommission schlägt wichtige Etappenziele für die Erholung der Populationen von wildlebenden Bestäubern und Vögeln vor. So soll die Population von Feldvögeln bis 2030 auf 110 Prozent steigen und bis 2050 bei 130 Prozent im Vergleich zu heute liegen. Der dramatische Rückgang bestäubender Insekten soll nach Kommissionsplänen bis 2030 aufgehalten werden. Dafür wird Renaturierung allein nicht reichen. Deshalb ist es ein wichtiges und langes überfälliges Zeichen, dass die Kommission auch einen Gesetzesvorschlag für eine Beschränkung des Einsatzes von Pestiziden vorgelegt hat.

96 Prozent der Europäer*innen fordern bindende Maßnahmen zur Renaturierung. Die Kommission hat diesen Auftrag ernst genommen und liefert einen guten ersten Aufschlag. Ich werde mich im Rahmen der parlamentarischen Verhandlungen dafür einsetzen, dass Schlupflöcher geschlossen, Vorgaben nicht verwässert und Steuerungsmöglichkeiten der Kommission gestärkt werden.