Internationale Seeschifffahrtsorganisation IMO trödelt weiter beim Umweltschutz

Der Ausschuss für den Schutz der Meeresumwelt bei der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation („MEPC“) kam zu seiner 79. Sitzung zusammen. Normalerweise nehme ich an diesen Treffen im Auftrag des Europäischen Parlaments teil, doch diesmal hatte das Parlament beschlossen, keine offizielle Delegation zur IMO nach London zu entsenden. Grund war der Abschluss zentraler Gesetze im Rahmen des Fit for 55-Pakets, die letzte Woche in Straßburg abgestimmt wurden oder bei denen in den vergangenen Tagen noch interinstitutionelle Verhandlungen liefen.

Bei der 79. Sitzung des Ausschusses für den Schutz der Meeresumwelt handelte es sich allerdings nur um ein Vorbereitungstreffen für die nächste Tagung im Juli 2023, bei der die mittelfristigen Maßnahmen auf globaler Ebene weiterverfolgt und entwickelt werden. Das Treffen ging mit einem Bekenntnis zur Klimaneutralität bis 2050 zu Ende, allerdings – wenig überraschend – nicht zu den dafür nötigen Reduktionsmaßnahmen. Wenn die IMO nicht wieder Worthülsen und Scheinmaßnahmen produzieren will, muss im Juli Versäumtes massiv nachgeholt werden!

Was ist der aktuelle Stand im Ausschuss für Meeresschutz?

Letztes Jahr wurden eine Reihe von Richtlinien gebilligt. Dabei ging es um technische und betriebliche Energieeffizienzmaßnahmen (EEXI – Energy Efficiency Existing Ship Index) und einen „Kohlenstoffintensitätsindikator“ (Carbon Intensity Indicator, CII), die bis Ende 2022 in Kraft werden. Diese Maßnahmen sollen die Schifffahrt Richtung Dekarbonisierung auf Kurs bringen, bevor das Ambitionsniveau der IMO-Strategie im Jahr 2023 geändert wird. Die IMO hat nach eigener Aussage bei der Reduzierung der Treibhausgasemissionen Fortschritte gemacht, jedoch kann diese Behauptung erst 2023 überprüft werden. Unabhängige Analysen der beiden Instrumente kommen allerdings zu dem Schluss, dass mit diesen Vorgaben nur 2 % zusätzliche Emissionsminderung bis 2030 erreicht werden.

Auf der Agenda der letzten Woche stand die Ausweisung des gesamten Mittelmeerraums als Schwefelemissions-Überwachungsgebiet (SECA). Das bedeutet, dass Schiffe dort zukünftig mit schwefelarmem Kraftstoff fahren oder Abgasreinigungsanlagen installieren müssen und soll ab 2025 gelten. Auf Initiative von Frankreich, Spanien, Italien und Monaco wurde zudem beschlossen, ein Gebiet im nordwestlichen Mittelmeer ab Mai 2025 als besonders sensibles Meeresgebiet zum Schutz von Walen vor den Auswirkungen des Schiffsverkehrs auszuweisen.

Diskutiert wurde darüber hinaus über „Scrubber“; das sind Abgasreinigungsanlagen für Schiffe, die Schwefeloxide aus den Abgasen abscheiden – aber die Produkte direkt ins Meerwasser leiten. Vor die freiwillige Wahl gestellt zwischen dem Umstieg auf sauberere, aber teurere Kraftstoffe oder dem billigen Scrubber-System, wählte die Schifffahrtsindustrie natürlich letzteres. Nun wird statt der Luft das Wasser verschmutzt und somit die dort lebenden Tiere und Pflanzen. Auch die Verschmutzung der Meere und Küsten durch Plastikmüll und die Folgen des Rußausstoßes standen beim Vorbereitungstreffen zur Debatte.

Was will die EU?

Das Europäisches Parlament hat bei der IMO lediglich einen Beobachterstatus. Wir Europaabgeordnete nehmen bei den Verhandlungen als Zuhörer*innen teil, können aber selber nicht das Wort ergreifen. Allerdings bieten die Treffen eine gute Gelegenheit, mit Vertreter*innen von Industrie, Umweltverbänden, der IMO und anderen Akteur*innen ins Gespräch zu kommen und sie von ambitionierteren Schutzzielen zu überzeugen. Die Europäische Kommission nimmt stellvertretend für die gesamte EU bei den Verhandlungen Teil.

Ein zentraler Punkt für die Europäische Union ist die anstehende Überprüfung des Datenerfassungssystems der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO Data Collection System, DCS). Hier setzt die Kommission sich für umfassendere und transparentere Emissionsdaten ein. Wer mir schon länger folgt, hat es bereits mehrfach gelesen: Emissionsdaten sind sehr wichtig, aber sie senken allein noch keine Treibhausgasemissionen. Auf EU-Ebene reformieren wir unser eigenes Datensystem zu Treibhausgasemissionen in der Seeschifffahrt („MRV Shipping Verordnung“ über die Überwachung, Berichterstattung und Verifizierung von Kohlenstoffemissionen in der Seeschifffahrt).

Im Europäischen Parlament haben wir uns mit großer Mehrheit dafür ausgesprochen, dieses um Maßnahmen zu ergänzen, die Emissionen auch tatsächlich senken, wie die Aufnahme der Schifffahrt in den EU-Emissionshandel ETS, den Einbezug weiterer Treibhausgase und verpflichtende Effizienzziele. Die Revision  des MRV liegt seit über zwei Jahren bei den Mitgliedstaaten auf Eis, aber im Rahmen der Verhandlungen zur Revision des ETS haben wir erreicht, dass die Schifffahrt ab 2025 schrittweise in den ETS aufgenommen wird und auch Methan- und Lachgasemissionen berücksichtigt werden. Das Datenerfassungssystem DCS der IMO ist nur drei Jahre jünger als das der EU; es ist seit März 2018 in Kraft. Auch hier ist es an der Zeit, über das bloße Datensammeln hinauszugehen und die gewonnenen Erkenntnisse endlich zur Emissionsreduktion zu nutzen. Zudem ist das DCS sehr viel weniger aussagekräftig als das MRV: es fehlen Angaben zur Beladung (vollbeladene Schiffe brauchen natürlich mehr Kraftstoff als leere!), und die Daten werden nur aggregiert nach Flaggenstaat zur Verfügung gestellt.

Neben dem Emissionshandel verhandeln wir in der Europäischen Union auch eine Verordnung zu alternativen Kraftstoffen in der Schifffahrt, bei der ich Schattenberichterstatterin meiner Fraktion bin. Parallel stößt die EU auf IMO-Ebene die Einführung einer Kraftstoffklassifikation gemäß dem Ausstoß von Treibhausgasen sowie eine CO2-Bepreisung an. Darüber hinaus will die Kommission die Methodik der Lebenszyklusanalyse (LCA) auf die Probe stellen.

Was muss passieren, damit die 80. Sitzung des IMO-Ausschusses für den Schutz der Meeresumwelt zum Erfolg wird?

Die internationale Schifffahrt ist der einzige Verkehrssektor, der keinerlei Emissionsreduktionszielen unterworfen ist. Da Schiffe sich großteils in internationalen Gewässern fortbewegen, fühlt sich kein Land zuständig, wenn es um die Verringerung der daraus entstandenen Treibhausgase geht. Mit dem neuen EU-Emissionshandelssystem ETS wird sich das für alle großen Schiffe ändern, die EU-Häfen anlaufen oder verlassen. Aber das reicht natürlich nicht, um die Schifffahrt weltweit zu dekarbonisieren. Die neuen EU-Maßnahmen werden zwar weltweit Standards und Anreize setzen, auf nachhaltigere Treibstoffe umzusteigen. Allerdings muss sich auch auf IMO-Ebene endlich etwas bewegen. Es ist wichtig, dass die EU bei nachhaltigen Kraftstoffen eng mit den USA zusammenzuarbeitet, um unterschiedliche Definitionen und Auffassungen zu vermeiden, was als nachhaltig gilt.

Seit vielen Jahren ruft das Europäische Parlament zusammen mit Nichtregierungsorganisationen zur Einrichtung von Luftreinheitszonen in der Arktis auf. Ruß, sogenannter schwarzer Kohlenstoff (engl. „black carbon“), richtet in schneebedeckten Gebieten erheblichen Schaden an, schadet Ökosystemen und heizt die Klimakrise an. Eine Mehrheit der IMO-Staaten schiebt das Thema ungeachtet der Gefahren von Tagesordnung zu Tagesordnung. Auch jetzt gab es wieder einmal keine Einigung zum Verbot von Schweröl in der Arktis. Spätestens das Treffen im Juli muss endlich Ergebnisse liefern, damit der Rußausstoß beendet werden kann.

Ein erfolgreiches Treffen des IMO-Umweltausschusses würde sich auch mit Fragen der marinen Artenvielfalt befassen. Soeben ist die Weltbiodiversitätskonferenz COP15 zu Ende gegangen. Die dort gefassten Beschlüsse sind historisch, wenn auch nicht ausreichend, um das Massenaussterben zu stoppen. Deshalb müssen auch internationale Organisationen wie die IMO ihren Verpflichtungen und ihrer Verantwortung für den Schutz von Arten und Lebensräumen nachkommen.

Ich werde im Juli 2023 persönlich zur IMO nach London fahren, um den hoffentlich erfolgsversprechenden Verhandlungen beizuwohnen. All die mal wieder liegen gelassenen Punkte müssen nochmal auf den Tisch. Das Ziel einer klimaneutralen Schifffahrt bis 2050 muss um konkrete Maßnahmen ergänzt werden.