Klimasensitivität: Neue Klimamodelle geben Anlass zur Sorge
ARTIKEL, Mittwoch, 10. Februar 2020 – Brüssel
„Über 30 Jahre hat die Wissenschaft die Klimasensitivität zwischen 1,5 °C und 4,5 °C eingestuft. Wenn die Klimasensitivität jetzt auf 3,0–7,0 °C ansteigt, könnte das enorm gefährlich für die Menschheit werden“ warnt Prof. Johan Rockström, ein schwedischer Klimawissenschaftler und Resilienz-Forscher, der für seine Publikationen zu den Planetaren Grenzen bekannt ist und seit September 2018 zusammen mit Prof. Ottmar Edenhofer das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) leitet.
Als ich letzten November das erste Mal auf informellem Weg von den neuen Modellergebnissen erfahren habe, ging es mir zwei Tage lang richtig schlecht. Hat es überhaupt noch einen Sinn, sich anzustrengen? Haben wir noch eine Chance, die Klimakrise soweit einzudämmen, dass das Schlimmste verhindert werden kann? Aber Grübeln und Klagen hat noch nie zu Lösungen geführt; nur Handeln hilft. Und wenn wir nur 0,1 °C Temperaturanstieg verhindern, ist das schon ein Gewinn.
Hintergrund:
Die Klimasensitivität gibt – vereinfacht gesagt – die Temperaturerhöhung bei Verdoppelung der Kohlendioxidkonzentration in der Erdatmosphäre an. Das heißt, dass die Durchschnittstemperatur der Erde um diesen Betrag ansteigt, wenn sich die CO2-Konzentration von den vorindustriellen 280 ppm auf dann 560 ppm erhöht. Zurzeit beträgt die CO2-Konzentration in der Atmosphäre 412 ppm, und wir konnten 2019 bereits eine Erhöhung von 0,92 °C (National Oceanic and Atmospheric Administration, NOAA) bzw. 0,98 °C (National Aeronautics and Space Administration, NASA) der globalen Mitteltemperatur beobachten.
Wie kommen die neuen Erkenntnisse zur Klimasensitivität zustande?
Seit den letzten Prognosen des Weltklimarats (IPCC) von 2013 haben die Datenmenge und die Rechenkapazität enorm zugenommen. Dadurch werden Klimamodelle immer genauer. Wissenschaftler*innen aus den USA, Großbritannien, Frankreich und Kanada haben jetzt neue Prognosen vorgestellt.
Was haben Wolken damit zu tun?
Joeri Rogeli vom Imperial College in London und einer der Hauptautoren des IPCC erklärt: „Wie Wolken in einem wärmeren Klima entstehen und ob sie kühlende oder aufheizende Wirkung haben, war lange eine große Unsicherheit in unseren Berechnungen. Durch die erhöhte Rechenleistung können die neueren Modelle diesen Faktor berücksichtigen“
Mark Zelinka vom Lawrence Livermore National Laboratory (LLNL) und Hauptautor der neuen Studie im Fachjournal „Geophysical Review Letters“ stellt die Ergebnisse so dar:
- Hoch liegende Wolken in der unteren Schicht der Atmosphäre verstärken die Summe der Sonneneinstrahlung, die auf der Erde verbleibt, da sie ein Abstrahlen in den Weltraum behindern. Die globale Erwärmung beschleunigt diese Dynamik.
- Tief liegende Wolken, wie z.B. Stratocumulus an den Westküsten von Kontinenten, werden durch die globale Erwärmung zurückgehen. Dadurch wird weniger Sonneneinstrahlung zurück in den Weltraum reflektiert (Abnahme des Albedo-Effekts), wodurch die Erwärmung beschleunigt wird.
https://skepticalscience.com/clouds-negative-feedback.htm
Zwölf neue Klimamodelle von verschiedenen Forschungsteams haben diese Effekte der Wolken jetzt einbezogen und kommen zu dem Schluss, dass die Klimasensitivität nicht zwischen 1,5 °C und 4,5 °C liegt, sondern wahrscheinlich eher zwischen 4,9 °C und 5,6 °C.
Die Forschergruppe um Zelinka hat 27 neue Klimamodelle untersucht und – als Härtetest – mit dem genauen Temperaturverlauf der letzten 75 Jahre verglichen. Die zwölf oben genannten Modelle konnten diesen Verlauf am genausten abbilden, was auf ihre Qualität hinweist. Auch ältere Modelle ließen diesen Trend schon erkennen, aber die Effekte durch die Wolken werden sich wohl in den nächsten Jahren stärker auf das Klima auswirken als bisher erwartet.
Quellen:
New climate models suggest Paris goals may be out of reach:
https://phys.org/news/2020-01-climate-paris-goals.html
Causes of Higher Climate Sensitivity in CMIP6 Models (Originalpublikation, frei zugänglich):
https://agupubs.onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1029/2019GL085782
Global Climate Report – August 2019 (Klimadaten NOAA 2019):
https://www.ncdc.noaa.gov/sotc/global/201908
NASA, NOAA Analyses Reveal 2019 Second Warmest Year on Record (Klimadaten NASA 2019):
https://www.giss.nasa.gov/research/news/20200115/
Examples of cloud feedback:
https://skepticalscience.com/clouds-negative-feedback.htm