ONE HEALTH: Artenschutz ist Gesundheitsschutz

Rund ein Viertel der bekannten Tier- und Pflanzenarten auf unserer Erde sind bedroht, davon ist die Hälfte stark gefährdet oder sogar vom Aussterben bedroht. Die Zerstörung von Lebensräumen durch Waldrodungen, Entwässerungen, Brände, Verschmutzung oder den Bau großer Infrastrukturprojekte drängt Wildtiere immer weiter zurück. Das hat auch Folgen für uns Menschen, denn ohne gesunde Ökosysteme stehen uns weder trinkbares Wasser, noch saubere Luft, fruchtbare Böden, fischreiche Ozeane, bestäubte Obstbäume, biobasierte Wirkstoffe und vieles mehr zur Verfügung. Auch die Gefahr von Zoonosen wie Covid19 wird durch den Druck auf Wildnisgebiete in Zukunft noch wahrscheinlicher. Das Überspringen von Krankheitserregern von Tieren auf den Menschen ist seit Jahrhunderten bekannt. Besonders die durch das Bakterium Yersinia pestis verursachte Pest hat sich in Europa als „Schwarzer Tod“ ins kulturgeschichtliche Gedächtnis eingebrannt.

Was ist der One Health-Ansatz?

Krankheiten, die durch das Überspringen von Erregern wie Bakterien, Viren, Fadenpilzen oder Parasiten von Tieren auf den Menschen entstehen, werden als Zoonosen bezeichnet. Als Reaktion auf die Zunahme von Zoonosen wurde der One Health-Ansatz entwickelt, der Gesundheit als Schnittmenge der Gesundheit des Menschen, der Tiere und der Natur betrachtet. One Health wird von immer mehr Organisationen anerkannt und angewandt. Auch die Europäische Kommission hat kürzlich eine eigene Abteilung für One Health innerhalb der Generaldirektion Gesundheit und Lebensmittelsicherheit geschaffen. Ein allgemeines Bewusstsein für die Zusammenhänge zwischen Verlust der Artenvielfalt, Massentierhaltung, Schadstoffbelastung und Pandemien ist trotzdem nach wie vor kaum vorhanden. 

Im Rahmen des Sonderausschusses für Covid19 ist es uns Grünen deshalb besonders wichtig, den One Health-Ansatz für die Prävention zukünftiger Pandemien in den Mittelpunkt zu stellen. Das beste Gesundheitssystem, die besten Impfstoffe und die besten medizinischen Lieferketten können die Entstehung neuer gefährlicher Erreger nicht stoppen. Zoonosen, also Krankheiten, die durch das Überspringen von Erregern von Tieren auf Menschen entstehen, können nur durch Prävention verhindert werden. Indem wir der Natur ausreichend Raum geben und eine breite Artenvielfalt erhalten, bekämpfen wir Zoonosen dort, wo sie entstehen.

Artenschutz und Tierwohl gegen neue Pandemien

Unsere Gesundheit hängt auch davon ab, wie wir mit unserer Natur und den in ihr lebenden Arten umgehen. Der Verlust der weltweiten Artenvielfalt, die Verarmung von Ökosystemen durch die Zerstörung der Lebensräume von Pflanzen und Tieren und die Folgen der Klimakrise bringen bekannte und unbekannte Krankheitserreger immer näher an den Menschen heran. Je artenärmer ein Lebensraum, desto größer die Populationen der vorhandenen Tiere, und desto höher ist das Mutationspotential für Viren und Bakterien. Zoonosen entstehen, wenn sich Erreger so verändern, dass sie direkt oder über einen Zwischenwirt auf den Menschen überspringen können. Beispiele hierfür sind unter anderem Masern, HIV-Virus, Ebola, Tollwut, Borreliose, Vogelgrippe, SARS, MERS und die sogenannten Affenpocken. 

Viren und Bakterien finden gerade in der Massentierhaltung ideale Bedingungen für ihre Ausbreitung und Mutation. Beengte Haltungsformen und mangelnde Hygiene beschleunigen Ansteckungen, und der übermäßige Einsatz von Antibiotika befördert die Bildung immer neuer Varianten. In extremen Fällen springen Erreger, die aus der Wildnis auf Nutz- oder Haustiere übergesprungen sind, in Form neuer Varianten wieder auf Wildtiere zurück. Wandernde Tierarten wie Zugvögel tragen diese dann auf ihren Reisen weiter. Maßnahmen wie die am Beginn der Covid19-Pandemie vollzogenen Grenzschließungen führen kaum zur Eindämmung.

Bei der Tierhaltung ist das regelmäßige Testen von Tieren eine wichtige Maßnahme zur Entdeckung von Erregern sowie zu ihrer Eindämmung. Zu Beginn der Covid19-Pandemie stand das Testen von Wild- und Nutztieren noch nicht im Fokus. Dabei wissen wir heute, dass sich das Virus da bereits in Nerzfarmen ausbreitete. Die finanziellen und personellen Ressourcen für die Veterinärmedizin sind vergleichsweise ungenügend, um eine auf Pandemien angemessene Vorbereitung und Eindämmung sicherzustellen.

Seit Ausbruch der Pandemie sind weltweit bereits 6,86 Millionen Menschen nachweislich an Covid19 gestorben. Noch immer verlieren täglich Menschen ihr Leben an den Sars-Cov-2-Erreger. Covid19 wird sicher nicht die letzte Pandemie dieses Jahrhunderts gewesen sein. Pandemieprävention bedeutet die Sicherstellung eines gesunden Zusammenlebens von Mensch und Tier sowie eine gesunde, giftfreie Umwelt. Schutzmaßnahmen für Wildtiere und Ökosysteme müssen nicht nur umgesetzt, sondern ihre Nichtumsetzung muss auch wirksam sanktioniert werden.

Eine saubere und giftfreie Umwelt

Schlechte Luft kann nicht nur langfristig krankmachen, sondern auch akute Infektionen verschärfen. Luftverschmutzung führt beispielsweise nachweislich zu schwereren Verläufen von Covid19-Infektionen. Ein ganzheitlicher Ansatz zum Gesundheitsschutz wie One Health muss deshalb Maßnahmen in allen Politikbereichen abdecken. Luftverschmutzung oder giftige Substanzen wie Pestizide und endokrine Disruptoren schädigen nach wie vor die Gesundheit von Millionen Europäer*innen. Die Europäische Kommission hat im Kampf gegen Krebs neue Grenzwerte und Richtlinien eingeführt, aber das Hauptproblem liegt wie so oft in ihrer Durchsetzung. Regelmäßig muss der Europäische Gerichtshof gegen Mitgliedstaaten wegen Verstößen gegen die Luftqualitätsrichtlinie und andere Umweltgesetze entscheiden, die nicht „nur“ die Zerstörung der Natur betreffen, sondern in direktem Zusammenhang mit der menschlichen Gesundheit stehen. 

Die Europäische Umweltagentur schätzt die Zahl der vorzeitigen Todesfälle durch Luftverschmutzung in einem einzigen Jahr auf 400.000. Die Verbrennung fossiler Brennstoffe und mit Diesel oder Benzin betriebene Autos beeinträchtigen das Wohlergehen der Europäer. Somit sind der Kampf gegen die Klimakrise, der Umstieg auf erneuerbare Energien und das Ende des Verbrennungsmotors auch Maßnahmen hin zu gesünderen Bürger*innen und einer besseren Prävention zukünftiger Pandemien.

Mehr Infos:

Die Anhörung zu One Health im Sonderausschuss COVI mit Wissenschaftler*innen und Expert*innen kann hier nachgehört werden: Link zur Aufzeichnung der Anhörung zu One Health: https://multimedia.europarl.europa.eu/en/webstreaming/covi-committee-meeting_20230228-0900-COMMITTEE-COVI 

Eine spannende Lektüre zu Erregern tierischen Ursprungs ist der Jahresbericht der Europäischen Lebensmittelagentur zu Zoonosen: https://www.efsa.europa.eu/en/efsajournal/pub/7666 

Der Abschlussbericht des Weltbiodiversitätsrats vom Workshop Artenvielfalt und Pandemien (engl.)

https://www.ipbes.net/sites/default/files/IPBESPandemicsReport.pdf