Pressebriefing zum Gesetz zur Rettung der Natur

Das gesamte Pressebriefing gibt es auch hier als PDF.

Stand 07.07.2023 – vor der Abstimmung im Plenum

I. Notwendigkeit des NRL

  • Weltbiodiversitätsrat IPBES: Ein Viertel der bekannten Tier- und Pflanzenarten bedroht, davon die Hälfte stark gefährdet oder vom Aussterben bedroht. Von insgesamt acht Millionen Arten wird schätzungsweise eine Million in naher Zukunft aussterben. 
  • Europäische Umweltagentur (EEA): In der EU sind 81 % der geschützten Lebensräume, 39 % der geschützten Vögel und 63 % der anderen geschützten Arten in einem schlechten oder sehr schlechten Zustand. EU-Landwirtschaft für Nahrungsmittelproduktion auf gesunde Böden und Ökosysteme sowie sauberes Wasser und saubere Luft angewiesen. Rund 84 % der landwirtschaftlich angebauten Früchte sind zumindest teilweise auf bestäubende Insekten angewiesen. 
  • Bestehendes EU-Naturschutzrecht unzureichend: Nach rund 30 Jahren noch immer nicht vollumfänglich umgesetzt, teils massive Verschleppungen bei EU-Vogelschutzrichtlinie und Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie; wiederholte Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) gegen EU-Mitgliedstaaten wegen Verletzung bestendenden EU-Naturschutzrechts.
  • EU-Biodiversitätsstrategie 2030: Ziel einer Umwandlung von mindestens 30 % der europäischen Land- und Meeresgebiete in wirksam bewirtschaftete Schutzgebiete, Ziele für Renaturierung und frei fließende Flüsse, Wiederbewaldung. Ziele der vorherigen EU-Biodiversitätsstrategie 2020 wurden verfehlt. 
  • UN-Biodiversitätskonferenz COP15 in Montreal und Kunming (Dezember 2022): EU verpflichtet sich, mindestens 30 % Prozent der Land- und Seeflächen bis zum Jahr 2030 unter Schutz zu stellen und mindestens 30 % der zerstörten Lebensräume wiederherzustellen.
  • Kein Klimaschutz ohne Naturschutz: Ohne Wiederherstellungs- und Schutzmaßnahmen von Feuchtgebieten und Wäldern verpasst die EU ihr Klimaziel einer Treibhausgasreduktion von mindestens 55 % bis 2030. Laut IPCC müssen 30 – 50 Prozent der kohlenstoffreichen Ökosysteme renaturiert werden, um die Erderhitzung auf unter 2 Grad Celsius zu begrenzen. Moore machen zwar nur drei Prozent der weltweiten Landfläche aus, binden jedoch ein Drittel des terrestrischen Kohlenstoffs. Das ist doppelt so viel wie alle Wälder unserer Erde zusammen.
  • Breite gesellschaftliche Unterstützung des NRL, u.a. durch Tausende Wissenschaftler*innen und Unternehmen

II. Was wird im Juli-Plenum abgestimmt? 

Im federführenden Umweltausschuss ENVI kam es am 27. Juni bei der finalen Abstimmung für einen Vorschlag zur Parlamentsposition zu einem Patt von 44 gegen 44 Stimmen. Das Europäische Parlament stimmt bei seiner Plenarabstimmung am 12. Juli Änderungsanträge zum ursprünglichen Kommissionsvorschlag ab. Die Mitgliedstaaten haben sich bereits in ihrer Ratsposition für das NRL ausgesprochen.

Ablauf der Abstimmung am 12. Juli: Die Abstimmung beginnt mit einer Abstimmung über die Ablehnung des Kommissionsvorschlags als Ganzes. Wird die nötige Mehrheit für die Ablehnung nicht erreicht, folgt die Abstimmung über die Änderungsanträge. Am Ende muss das Plenum die durch die Änderungsanträge erreichte Parlamentsposition final als Ganzes abstimmen.

Bis Antragsschluss wurden 136 Änderungsanträge eingereicht. Die Grünen/EFA haben Änderungsanträge eingebracht zu höheren Wiedervernässungszielen trockengelegter Feuchtgebiete, Verringerung der Lichtverschmutzung und der Vernetzung von Ökosystemen. Zusammen mit der Fraktion der Linken haben die Grünen/EFA einen Änderungsantrag zur Schaffung eines Renaturierungsnetzwerks zum Wissensaustausch sowie zum von Rat gestrichenen Zugang zu Gerichten für Umweltschutzorganisationen und Bürgerinnen und Bürger eingebracht.

III. Kompromiss der Konstruktiven Koalition

Die Grünen/EFA unterstützen den auf der Ratsposition der Mitgliedstaaten basierenden Kompromiss der Konstruktiven Koalition im Europäischen Parlament:

  • Nichtverschlechterung und Ausnahmeregelung: Die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten werden klarer gefasst, indem der Schwerpunkt auf die Bemühungen zur Durchführung der erforderlichen Maßnahmen gelegt wird, statt auf die Gewährleistung des Endergebnisses. „Erhebliche“ Verschlechterung soll verhindert werden. Der Zeitpunkt des Beginns der Nichtverschlechterung wird an die Veröffentlichung der nationalen Sanierungspläne geknüpft. Außerdem wird der Verweis auf Einzelfallprüfungen für Projekte von übergeordnetem öffentlichem Interesse gestrichen und eine spezielle Regelung für Verteidigungsprojekte geschaffen.
  • Bestimmungen in Bezug auf erneuerbare Energien: Das NRL wird an die Erneuerbare Energien Richtlinie RED III und die TEN-E-Verordnung über Energienetze angeglichen. Das überwiegende öffentliche Interesse für Projekte im Bereich der erneuerbaren Energien wird angenommen.
  • Fristen für die Schließung von Wissenslücken über Lebensräume: Der Rat schlägt vor, Fristen festzulegen, bis zu denen der Zustand bestimmter mariner, terrestrischer und Süßwasserlebensräume bekannt sein muss. Der Ansatz umfasst eine risikobasierte Bewertung des Zustands von Lebensräumen und zielt darauf ab, Wissenslücken bis 2030 und 2040 zu schließen.
  • Änderungen der Wiederherstellungsziele: Änderungen an den Wiederherstellungszielen für bestimmte Ökosysteme, z. B. für weiche Sedimente und städtische Ökosysteme. Diese Änderungen zielen darauf ab, die Wiederherstellungsbemühungen mit anderen Zielen, wie dem Ausbau der Infrastruktur und den bestehenden Verpflichtungen im Rahmen der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie, in Einklang zu bringen.
  • Einführung eines schrittweisen Ansatzes für die Ausarbeitung von Plänen zur Wiederherstellung der Natur: Nationale Pläne sollen Maßnahmen bis 2032 und einen strategischen Überblick für die Zeit bis 2050 beinhalten.
  • Streichung der Bestimmung über den Zugang zu Gerichten für Umweltschutzorganisationen und Bürgerinnen und Bürger
  • Überwachung und Berichterstattung: Die Berichtsintervalle für bestimmte Indikatoren werden verlängert, z. B. für Bestäuber, Schmetterlinge, Vögel, Gebiete, die der Renaturierung unterliegen, entfernte Flusshindernisse und andere Berichts- und Überwachungsbestimmungen.
  • Einführung eines neuen Artikels über Finanzierungsaspekte: Die Kommission soll innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens einen Bericht über die Finanzierungsaspekte auf den Weg bringen.

IV. Verzögerungstaktik durch Europäische Volkspartei EVP (CDU/CSU)

  • Positionspapier der CDU/CSU-Landesgruppe und EVP-Parteitagsresolution, Wahlkampfstart im Vorfeld nationaler (u.a. Spanien) und regionaler Wahlen (u.a. Bayern): Forderung der Rücknahme zentraler Gesetze des Green Deal von Kommissionspräsidentin von der Leyen, u.a. NRL. Parteiinterner Konflikt um Kommissionspräsidentschaft und Spitzenkandidatur.
  • Europäisches Parlament: Die Ausschüsse für Fischerei (PECH) und Landwirtschaft (AGRI) hätten (nicht-bindende) Stellungnahmen abgeben dürfen, lehnten stattdessen aber das NRL in ihren Abstimmungen vollumfänglich ab..
  • Verhandlungsabbruch am 31. Mai 2023 durch EVP-Schattenberichterstatterin Schneider nach mehreren Monaten intensiver Verhandlungen, generelle Ablehnung des NRL mit Forderung nach neuem Kommissionsvorschlags.
  • Austauschen eines Drittels der EVP-Abgeordneten bei der Abstimmung im federführenden Umweltausschuss ENVI durch teils fachfremde Abgeordnete. Die Abstimmung ging 44:44 aus. Koalition aus EVP, Rechtskonservativer ECR, Rechtsextremer ID und einzelner Liberaler
  • Kommissionsvizepräsident Timmermans: Neuer NRL-Kommissionsvorschlag wird nicht kommen! 
  • Warum legt die Kommission keinen neuen NRL-Vorschlag vor? Ein neuer Kommissionsvorschlag müsste auf den aktuellsten wissenschaftlichen Daten und internationalen Verpflichtungen basieren (COP15). Die Ausarbeitung würde wegen der neu durchzuführenden Datenauswertungen zu lange dauern, um noch vor dem Ende der Legislaturperiode vorgelegt werden zu können. Vermutlich würde der Kommissionsvorschlag am Ende sogar strenger ausfallen müssen als der aktuelle.