SOER 2020- Teil 9/11- Umgebungslärm
Die rheinland-pfälzische Lärmkarte zeigt auf den ersten Blick die Hauptquelle für gesundheitsschädlichen Lärm – den Straßenverkehr. Spitzenwerte sind hier am Beispiel des Großraums Koblenz vor allem entlang der großen Autobahnen deutlich zu erkennen. Der Lärmaktionsplan der Landesregierung setzt deswegen vor allem an Straßen an.
Lärm ist eine allgegenwärtige Emission mit negativem Einfluss auf die Gesundheit und das Wohlbefinden von Mensch und Natur. Verkehrslärm ist die zweithäufigste umweltbasierte Ursache für Gesundheitsschäden in Westeuropa – nach der Feinstaubbelastung. Steigende Risiken vor allem für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, metabolisches Syndrom, reduzierte Aufmerksamkeit bei Kindern und verschiedene Aufmerksamkeits- und Schlafstörungen werden mit Verkehrslärm in Verbindung gebracht. Auch die Tierwelt leidet: gestörtes Fress-, Brut- und Schlafverhalten sind zu beobachten.
Als hohes Lärmaufkommen wird eine durchschnittliche Pegelstärke von 55 dB am Tag bzw. 50 dB in der Nacht bezeichnet. Aber auch unterhalb dieser Grenzwerte kommt es zu negativen Einflüssen auf die Gesundheit. Das siebte Umweltaktionsprogramm hat Lärmminderung bis 2020 als ein wichtiges Ziel festgesetzt. Um eine Angleichung an die Grenzwerte der WHO zu erreichen, ist die Überarbeitung der Lärmaktionsprogramme anhand der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse notwendig. Weiterhin empfiehlt das Umweltaktionsprogramm Maßnahmen zur Reduzierung von Lärm an der Quelle, inklusive der Entwicklung angepasster Stadtplanung.
Zahl der Betroffenen
Europaweit besteht ein signifikanter Datenmangel über die Zahl der Personen, die von Lärm unterhalb der Grenzwerte betroffen sind. Erhebung und Berichterstattung durch die Mitgliedsstaaten in diesem Bereich erfolgen nur auf freiwilliger Basis.
Bei Lärm oberhalb der Grenzwerte gibt es erschreckende Zahlen: 113 Millionen Menschen werden durch Straßenlärm, 22 Millionen Menschen durch Bahnlärm, 4 Millionen Menschen durch Fluglärm und 1 Million Menschen durch Industrielärm belastet. Damit sind 20 % der europäischen Bevölkerung am Tag und 15 % in der Nacht Lärm ausgesetzt. Im erfassten Zeitraum von 2012 bis 2017 ist der Lärm entgegen der Ziele des 7. Umweltaktionsprogramms nicht zurückgegangen; im ländlichen Raum kam es im Bereich Bahnlärm sogar zu einem signifikanten Anstieg um 27 %. Innerhalb der Mitgliedsstaaten ist die Zahl der Betroffenen sehr unterschiedlich verteilt: während in der Slowakei nur 9 % der Bevölkerung unter Lärm leiden, sind es in Zypern 54 %.
Folgen
Die Gesamtheit der untersuchten Lärmquellen ist europaweit für 48.000 zusätzliche Fälle von Herz-Kreislauf-Eerkrankungen und 12.000 vorzeitige Todesfälle verantwortlich. Fluglärm führt vor allem bei Kindern zu Schäden der kognitiven Entwicklung, entsprechend lassen sich bei 12.500 Kindern im Alter von 7–17 Jahren Leseschwächen auf Fluglärmbelastung zurückführen.
Der größte Teil der Betroffenen lebt in urbanen Gebieten mit mehr als 100.000 Einwohnern. In den von Lärm betroffenen Gebieten zeigt sich eine erhöhte Anzahl von Krankheitstagen der dort Lebenden. Die eingeschränkten Möglichkeiten der Entwicklung führt auch zu niedrigen Immobilienpreisen und weitere wirtschaftliche Einbußen.
Zukunftsaussichten
Prognosen gehen von einer steigenden Lärmintensität aus, insbesondere durch steigenden Waren- und Personenverkehr sowie Bevölkerungsanstieg in urbanen Gebieten. Langfristig steigt so die Zahl der Lärmbetroffenen, selbst wenn der Wandel zur leiseren Elektromobilität gelingt, um 8 % im Zeitraum von 2017 bis 2030. Ähnliche Anstiege werden bei der Zahl von Bahnlärm betroffenen Personen erwartet. Dabei ist die Umstellung auf Flüsterbremsen bereits einberechnet. Der Fluglärm kann nur reduziert werden, wenn alle im europäischen Umweltbericht zum Luftverkehr genannten technologischen Entwicklungen bis 2030 auch tatsächlich stattfinden. Da mit steigenden Flugzahlen gerechnet wird, würden die technischen Weiterentwicklungen des Flugzeugdesigns nur zu einer Stabilisierung, nicht zu einem Rückgang der Lärmimmissionen führen. Der durch Industrieanlagen verursachte Lärm ist rückläufig und wird auch weiterhin als abnehmend prognostiziert.
Effekte auf Wildtiere
Viele Arten nutzen akustische Kommunikation zur Partnersuche oder zur Verständigung über Futterplätze. Studien im Umfeld des Berliner Flughafens Tegel zeigen eine besondere Betroffenheit von Vögeln, die ihren Gesang ab einer Lärmintensität von 78 dB vollständig einstellen.
Verbreitung von Stille-Zonen
Die europäische Lärm-Richtlinie formuliert die Notwendigkeit zur Schaffung von Stille-Zonen. Die meisten Mitgliedsstaaten haben Kriterien zur Definition von Stille-Zonen aufgestellt, primär in urbanen Regionen; 15 Mitgliedsstaaten haben bereits solche Zonen eingerichtet. Es gibt allerdings keine verlässlichen Daten darüber, ob und wie sich nicht klassifizierte, lärmarme Gebiete innerhalb Europas entwickeln. Daten zur Landnutzung, die potentiell lärmfreie Gebiete identifizieren, zeigen ein uneinheitliches Bild. Auch in den Städten ist die Situation gemischt: während vor allem in Wohngebieten die Lärmbelastung abnimmt, ruft die Bebauung bislang ruhiger grüner Inselneinen Anstieg von Lärm hervor.
Die Lärmrichtlinie ist in den Mitgliedsstaaten noch nicht vollständig umgesetzt, daher wurden in manchen Mitgliedsstaaten nur wenige oder gar keine Lärmdaten gemeldet. Zudem wurden verschiedene Erhebungsmethoden verwendet, was die Bewertung auf europäischer Ebene schwierig macht. Daher hat die EU 2019 eine einheitliche Methode zur Kartierung von Lärm entwickelt, die Hoffnung auf bessere Datengrundlagen bei zukünftigen Bewertungen macht.
Ausblick
Die bisherigen Vorgaben der europäischen Lärmrichtlinie werden in den meisten Mitgliedsstaaten nicht erreicht. Dafür sind Maßnahmen zur Reduzierung der Lärmquellen notwendig. Insbesondere ist eine moderne Stadtplanung mit urbanen Stille-Zonen, lärmoptimiertem Straßendesign, Lärmbarrieren und Lärmschutz für Wohnungen und einer Reduzierung des Straßenverkehrs wirksam. Dabei sind nach Analysen der europäischen Umweltagentur diese Maßnahmen auch wirtschaftlich gewinnbringend: das Kosten-Nutzenverhältnis liegt bei 1:29. Daher ist unverständlich, warum die Aktionspläne zu mehr als 50 % unvollständig umgesetzt werden.
Bildquelle: Lärmkartierung Rheinland-Pfalz 2017, Ausschnitt Koblenz https://umgebungslaerm.rlp.de/de/laermkartierung/
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