Was ist eigentlich Chemie?

Chemie ist zunächst einmal „nur“ eine naturwissenschaftliche Fachrichtung.

Gerade in grünen Kreisen wird der Chemie allerdings oft mit großer Skepsis begegnet. Sei es, dass „Naturheilkunde“ grundsätzlich als harmlos, synthetische Arzneistoffe hingegen als gefährlich betrachtet werden; sei es, dass man chemische Prozesse und Produkte für überflüssig hält. (Gut, hier habe ich bewusst etwas übertrieben.)

Eine kurze Geschichte der Chemie

Seit wann betreibt der Mensch „Chemie“ – abgesehen davon, dass biochemische Prozesse ein kennzeichnendes Merkmal des Lebens sind? Spätestens die Sumerer kochten aus Asche und Ölen Seife, spalteten also die Fettsäureester der Öle in Glycerin und Kalisalze der Fettsäuren. Noch heute werden so hochwertige Seifen hergestellt. Auch Lederherstellung und Färben, Räuchern, Metallherstellung und Glasbläserei sind chemische Fertigkeiten, die im Altertum allgemein betrieben wurden. Mittelalter und frühe Neuzeit waren die Hochzeit der Alchemisten, deren Vorstellungen mit ihrem engem Bezug zu Sternzeichen und Mysterienkult man heute als esoterischen Unfug bezeichnen würde. Die Rolle der Alchemie in der Entwicklung der Laboratorien und letztlich der modernen Naturwissenschaften kann aber gar nicht überschätzt werden. Die Verbreitung der alchemistischen Kenntnisse führte zu den Anfängen einer systematischen praktischen Chemie; Bücher über Metallurgie und Bergbau erschienen, aber auch über Arzneimittel und Gifte. Im 18. und 19. Jahrhundert explodierte das Wissen über chemische Zusammenhänge und die industrielle Produktion von Chemikalien begann mit der Farbenchemie.

Heute sind Chemikalien aus den industrialisierten Ländern nicht mehr wegzudenken. Sie helfen, Häuser zu dämmen, Energie effizient zu nutzen, die Haltbarkeit von Produkten zu erhöhen, Krankheiten zu behandeln und vieles mehr. Allerdings beruhen nahezu alle chemischen Produkte auf nicht-erneuerbaren Rohstoffen. Dazu an anderer Stelle mehr.

Chemie und die Umwelt

Wie bei vielen industriellen Prozessen fanden die Auswirkungen auf Mensch und Umwelt jedoch lange wenig Beachtung. Schaumberge auf Flüssen oder Giftmüll auf offenen Deponien gehören in Europa mittlerweile der Vergangenheit an; in vielen anderen Teilen der Welt sieht es leider schlechter aus. In Deutschland wurde 1980 das erste Chemikaliengesetz mit Auflagen zur Untersuchung und Kennzeichnung verabschiedet – es galt aber nur für neue Substanzen. Die sogenannten „Altstoffe“  werden erst seit 2008 dank der EU-weit gültigen REACH-Verordnung untersucht. So kamen (Stand heute) knapp 90.000 Dossiers mit Informationen zu Giftigkeit, krebserzeugenden Eigenschaften und Umweltauswirkungen sowie zur Verwendung des betreffenden Stoffes zusammen. Auf Basis dieser Daten werden gefährliche Stoffe in der Anwendung beschränkt. Da die Verordnung auch für Importeure gilt, sind auch keine Wettbewerbsnachteile zu befürchten.

Alles gut also? Nicht ganz. Zum einen wurde der ursprünglich vorgeschlagene Untersuchungsumfang erheblich zusammengestrichen. Das erfolgte primär auf Druck der Hersteller. Außerdem sind viele der eingereichten Dossiers unvollständig, und der Europäischen Chemikalienbehörde fehlen Ressourcen, um mehr als 5 % der Dossiers zu prüfen. Der Grundsatz „ohne Daten kein Marktzugang“ wird so ad absurdum geführt; wer sorgfältig alle geforderten Daten erhoben hat, steht als der Dumme da.

Zum anderen gibt es eine ganze Palette von Stoffen, für die REACH nicht gilt: Polymere (bspw. Plastik), Pflanzenschutzmittel, Arzneimittel sowie Lebens- und Futtermittel. Und alle Stoffe, die in Mengen von weniger als einer Tonne jährlich hergestellt oder importiert werden. Eine Tonne sind 1.000 kg – bei Substanzen wie Arsen wäre diese Menge ausreichend, um 10.000 Menschen zu töten. Es ist allerdings illusorisch, jede Kleinstmenge vollständig untersuchen zu wollen. Daher hat dieser Kompromiss durchaus seine Berechtigung.

Was allerdings dringend erforderlich ist: ein REACH für Polymere. Plastik ist eins unserer größten Umweltprobleme, eine stärkere Regulierung ist angesagt. Denn es ist nachgerade absurd, wenn für Produkte mit wenigen Minuten Nutzungsdauer Materialien verwendet werden, die über hunderte von Jahren in der Umwelt verbleiben. Hier muss ein risiko- und verwendungsbasierter Ansatz her, mit dem bspw. für bestimmte Zwecke gar keine, für andere nur noch biologisch abbaubare Kunststoffe verwendet werden dürfen.