Kleine modulare Reaktoren – ein Bärendienst fürs Klima
Atomkraft erlebt derzeit einen medialen Hype. Sogenannte kleine, modulare Reaktoren (SMRs) werden als Wunderwaffe gepriesen, als Rundumschlag gegen Erderwärmung und hohe Energiepreise. Klein und modular – das klingt nach harmlosem Setzbaukasten, nach schnell verfügbarer und passgenauer Versorgung. Allerdings steckt dahinter auch weiterhin eine Technologie, die uns zuverlässig auf Millionen Jahre radioaktiven Müll hinterlässt. Für diesen haben wir bis heute weltweit kein Endlager. Nur in Finnland befindet sich ein Standort im Bau, dessen Kapazität allerdings nur für den finnischen Atommüll ausreichen wird.
Nehmen wir einmal an, Atomunfälle könnten immer und überall ausgeschlossen werden und wir fänden sehr bald ein sehr sicheres Endlager. Was spräche dann noch gegen den Bau kleiner modularer Reaktoren? Die kurze Antwort lautet: auch die Bauzeit für kleine Atomreaktoren ist zu lang, als dass sie der Erreichung der Klimaziele dienlich sein könnten. Forschung, Entwicklung, Planung und Bau kosten Geld, das für den viel schneller und sicherer umsetzbaren Ausbau von Erneuerbaren Energien fehlt. Obendrein lösen sie unsere energiepolitischen Abhängigkeiten nicht, da für die meisten Konzepte weiterhin Uran benötigt wird. Der diesjährige World Nuclear Industry Status Report (WNISR201) hat sich diesen angeblichen Wundermaschinen intensiv gewidmet und herausgearbeitet, dass SMRs sich von herkömmlichen Atomreaktoren kaum unterscheiden. Die Probleme der „Großen“ finden sich in gleicher Weise auch bei den „Kleinen“.
Im Jahr 2020 wurden weltweit über 300 Mrd. US-Dollar in Erneuerbare Energien investiert. Dem gegenüber stehen 18 Mrd. US-Dollar für Atomenergie, also gerade mal sechs Prozent. Die installierte Leistung von Solar und Wind nahm zusammengenommen um 256 Gigawatt oder 30 % zu. Dagegen nehmen sich die (netto) zugebauten 0.4 Gigawatt Atomkraft sehr bescheiden aus. Der Grund zeigt sich sehr deutlich in der Entwicklung der Stromgestehungskosten von 2009 bis 2020. Eklatant ist die Zunahme um 33 % bei Kernenergie, während Erneuerbare um unglaubliche 70 % (Windenergie) bis 90 % (Solarenergie) kostengünstiger geworden sind. Bereits 2019 produzierten Erneuerbare Energien weltweit (ohne Wasserkraft) mehr Energie als alle Kernkraftwerke zusammen. Der Anteil der Atomenergie dümpelt entgegen aller Beteuerungen von einer „Renaissance“ der Atomkraft seit Jahren bei maximal 10 % des weltweiten Stromverbrauchs.
Die erste Hürde für Atombegeisterte ist der Bau. Bauzeiten von mehr als 20 Jahren sind eher die Regel als die Ausnahme; selbst in autoritären Staaten wie China geht kaum ein AKW in weniger als 10 Jahren ans Netz. Jeder Standort hat eigene Herausforderungen; zudem müssen hohe Sicherheitsanforderungen eingehalten werden. So verzögern sich die Bauzeiten und die Kosten explodieren. Aber muss man denn das Rad immer neu erfinden? Die gar nicht so neue Idee hinter den SMRs ist daher die Serienfertigung in einer Fabrik mit nachfolgendem Transport an den Bestimmungsort. Auf dem Papier glänzen SMRs seit 20 Jahren mit einer ganzen Reihe weiterer Vorteile: erhöhte Effizienz des Sicherheitsbehälters, passive Sicherheit ohne Gefahr der Kernschmelze, geringerer Personalbedarf. Die Amortisationskosten für eine Produktionsstelle von SMRs werden auf 40-70 Reaktoren geschätzt. Studien gehen von Stromkosten von ca. 60 US-Dollar pro Megawattstundeaus, entsprechend etwa 5 Euro-Cent pro Kilowattstunde. Da erscheint es mysteriös, dass SMRs angesichts dieser Vorteile trotz finanzstarker Investoren und staatlicher Förderungsprogramme weltweit noch nirgends umgesetzt wurde. Einzige Ausnahme sind die beiden KLT-40S Reaktoren auf dem russischen Schiff Akademik Lomonosov, die 2019 ans Netz gingen?
Tatsächlich gibt es weltweit nur acht Länder, die SMRs geplant oder schon mit dem Bau begonnen haben: Argentinien, Kanada, China, Indien, Russland, Südkorea, Großbritannien und die USA.
Der Reaktor in Argentinien ist seit 2014 im Bau, die Planungen hatten bereits 1984 begonnen. Die Kosten werden auf 700 Mio. US-Dollar geschätzt. Es gibt noch keinen Termin für die Fertigstellung.
Kanada möchte das Thema SMRs voranbringen und investiert viel staatliche Förderung in die Entwicklung und Zertifizierung von Reaktormodellen. Jedoch befindet sich bisher kein einziger davon im Bau.
In China ist ein Hochtemperatur Reaktor mit zwei 100 MW Modulen seit 2012 im Bau, und die ersten Tests zur Inbetriebnahme haben im Januar 2021 begonnen. Ein weiterer SMR, der in China gebaut wird ist das Modell ACP100, bei dem jedoch der Betreiber CNNC warnt, dass pro Kilowatt doppelt so hohe Kosten anfallen wie bei einem großen Atomkraftwerk.
In Indien gibt es seit 1990 Pläne für einen Advanced Heavy Water Reactor (AHWR). Der Baustart war für 2004 geplant und wurde immer weiter nach hinten verschoben; seit 2019 wird der AHWR nur noch als Forschungsprojekt bezeichnet. Der Baustart bleibt ungewiss.
In Russland stehen zwei KLT-40S Reaktoren auf dem Schiff Akademik Lomonossov, die seit Dezember 2019, nach Vervierfachung der Bauzeit und Verdreifachung der Kosten auf 740 Millionen US-Dollar in Betrieb sind. Dabei handelt es sich nicht einmal um ein völlig neues Reaktorkonzept. Die RITM Serie wurde schon länger in Eisbrechern verwendet und soll in Zukunft nun auch an Land eingesetzt werden. Konkrete Bauprojekte gibt es jedoch noch nicht. Der Baubeginn eines weiteren SMR-Typs, des mit Blei-Bismut-Gemisch gekühlten SVBR-100 Reaktors, wurde verschoben, die geschätzten Kosten haben sich bereits mehr als verdoppelt. Der dritte Typ, der bleigekühlte BREST-OD-300 Reaktor, ist im Juni 2021 mit vier Jahren Verzögerung in Bau gegangen, die Inbetriebnahme ist für 2026 geplant. Die Kosten werden auf 1.4 Mrd. US-Dollar geschätzt.
Südkorea hat bereits 2012 ein SMR Modell genehmigt, es wurde jedoch nie gebaut. 2015 hat das Korea Atomic Energy Research Institute (KAERI) einen Vertrag mit der “King Abdullah City for Atomic and Renewable Energy (KA-CARE)” geschlossen, um eine Reaktorfabrik in Saudi-Arabien zu errichten. Das Joint Venture besteht bis heute, hat bisher jedoch noch keinen Reaktor gebaut. Im Juni 2021 hat das KAERI zusammen mit Samsung Schwerindustrie verkündet, Flüssigsalzreaktoren für marine Anwendungen und schwimmende Atomkraftwerke zu entwickeln und Mitte der 2030er Jahren in Betrieb zu nehmen.
Großbritannien ist seit 2014 an SMRs interessiert und hatte damals eine große Machbarkeitsstudie finanziert. 2019 sollte ein Reaktordesign von Rolls Royce mit 22,7 Millionen. US-Dollar gefördert werden. Dieses ist aber noch in der Konzeptphase. Das chinesische Reaktordesign UK HPR1000 (Hualong) ist seit 2017 in der Prüfphase, die bis 2022 abgeschlossen werden soll. Im November 2020 hat die Regierung im Rahmen des Plans für den Aufschwung der Wirtschaft nach der Corona-Pandemie eine Förderung von SMRs von etwa 0,5 Mrd. US-Dollar versprochen. Daraufhin hat Rolls Royce im Mai 2021 angekündigt, sein SMR Design in der zweiten Jahreshälfte zur Überprüfung bei den Behörden einzureichen.
In den USA gibt es staatliche Förderprogramme für SMRs seit 2012. 2016 wurde das mit 314 Mio. US-Dollar geförderte Reaktordesign von NuScale zur Überprüfung bei der Nuclear Regulatory Commossion (NRC) eingereicht und hat im September 2020 den final safety evaluation report (FSER) bekommen. Jedoch gab es wirtschaftliche Bedenken, im Zuge derer das Modell von 50 MW auf 60 MW angepasst wurde und jetzt den Genehmigungsprozess erneut durchlaufen muss. Ursprünglicher Anwendungszweck der SMRs war die Stromversorgung des US Militärs an entlegenen Standorten. Während die SMRs immer noch in der Entwicklungsphase sind, wird die US Navy in New Jersey mittlerweile von einer 28,5 MW Solaranlage versorgt.
Als Fazit lässt sich sagen, dass SMRs bisher unter den gleichen Entwicklungsproblemen gelitten haben, die bei großen Kernkraftwerksprojekten auftreten. Insbesondere die Überschreitung von Genehmigungs- und Bauzeiten und steigende Kosten. Dabei sind die meisten Entwürfe noch rein theoretisch, und es wurde noch kein echter Reaktor auf der Grundlage dieser Papierkonzepte gebaut. Insgesamt gibt es nur geringe Anzeichen, die auf einen großen Durchbruch für SMR hindeuten. Das betrifft die Technologie wie die Wirtschaftlichkeit in gleicher Weise. Selbst der überzeugte Atom-Befürworter William Magwood, Generaldirektor der Kernenergie-Agentur (NEA) der OECD in Paris und ehemaliges Mitglied der US-Nuclear Regulatory Commission (NRC), erklärte kürzlich: “Wenn diese Technologien nicht in etwa zehn Jahren auf den Markt gebracht werden können, sind sie für die Energiewende wahrscheinlich nicht relevant” (https://thehill.com/opinion/energy-environment/565024-its-time-to-cancel-the-versatile-test-reactor). Mark Cooper, Senior Fellow für Wirtschaftsanalyse am Institut für Energie und Umwelt der Vermont Law School, zog in einer kürzlich durchgeführten Analyse ein noch deutlicheres Fazit: „Kleine modulare Reaktoren scheinen den Weg der großen Reaktoren zu wiederholen, mit steigenden Kosten und zunehmenden Verzögerungen. Ein Großteil des Kampfes gegen den Klimawandel wird vorbei sein, bevor auch nur einer dieser Reaktoren in Betrieb ist.“ (https://www.vermontlaw.edu/sites/default/files/2021-07/Building_a_21st_Century_Electricity_System.pdf)
Quellen:
World Nuclear Industry Status Report 2021: https://www.worldnuclearreport.org/-World-Nuclear-Industry-Status-Report-2021-.html
World Nuclear Industry Status Report 2020: https://www.worldnuclearreport.org/-World-Nuclear-Industry-Status-Report-2020-.html