Pestizide

Wieso können so schädliche Substanzen überhaupt zugelassen werden?

Das Zulassungsverfahren für Pestizide in der EU ist ein mehrstufiger Prozess. Zunächst reicht ein Produzent den Antrag auf die Zulassung eines Wirkstoffs bei einem Mitgliedsstaat ein. Wirkstoff und Produkt unterscheiden sich wie Acetylsalicylsäure und Aspirin: in der fertigen Tablette sind außer dem Wirkstoff Acetylsalicylsäure Füllstoffe, Trennmittel und vieles mehr enthalten. Dem Antrag müssen Studien zu Giftigkeit, Wirkung auf sogenannte Nicht-Ziel-Organismen, biologische Abbaubarkeit und vieles mehr beigefügt werden.

Das Mitgliedsland prüft den Antrag, die europ. Lebensmittelbehörde EFSA überprüft die Beurteilung des Mitgliedslandes. Auf der Basis dieser behördlichen Stellungnahmen genehmigen die EU-Kommission und die Mitgliedsstaaten die Zulassung – oder eben nicht.

Ein Produzent kann dann die Zulassung eines Pestizids mit einem zugelassenen Wirkstoff bei den Behörden eines Mitgliedsstaats beantragen. In diesem Antrag müssen Art und Menge der Anwendung, maximale Rückstandskonzentrationen, Wartezeiten und vieles mehr angegeben werden. Die EFSA überprüft die Risikobeurteilung sowie die vorgeschlagenen maximalen Rückstandskonzentrationen. Die Einschätzung der EFSA dient der EU-Kommission als Grundlage ihrer Entscheidung, die Rückstandskonzentrationen zu akzeptieren. Dann darf der Mitgliedsstaat das Produkt zulassen. Nach der Zulassung werden weitere Studien zu den auf Lebensmitteln verbleibenden Mengen durchgeführt, deren Ergebnisse bei Neuzulassungen berücksichtigt werden müssen.

Tja, wo ist der Haken? Es gibt gleich mehrere:

  • Alle umwelt- und toxizitätsrelevanten Studien müssen nur für den Wirkstoff durchgeführt werden, nicht für das fertige Produkt. Das ist ein wichtiger Unterschied. Beispiel: Sogenannte Netzmittel sorgen aber dafür, dass Wirkstoffe leichter von Zellen aufgenommen werden und erhöhen so deren Giftigkeit. Dieser Effekt wird aber nicht berücksichtigt.
  • Hersteller dürfen sich bei der Einreichung ihrer Studien auf Vertraulichkeit für den Schutz ihres „Geschäftsgeheimnisses“ berufen. So bleiben die Ergebnisse geheim und können nicht von unabhängigen Wissenschaftler*innen überprüft oder bewertet werden.
  • Gerne werden Zulassungsverfahren in Staaten durchgeführt, die nicht genügend Ressourcen zur ausführlichen Prüfung der Dossiers haben. Dabei werden die Unterlagen der Hersteller nur „durchgewinkt“ statt sie im Detail zu begutachten.
  • Nicht alle Studien, die durchgeführt werden, müssen der Behörde zur Kenntnis gegeben werden. Unerwünschte Ergebnisse landen oft genug in der Schublade, sodass unter Umständen wichtige Informationen nicht berücksichtigt werden können.
  • In der Realität wird nicht nur ein Wirkstoff versprüht, sondern mehrere Pestizide werden auf dem gleichen Acker verwendet. Die Wechselwirkungen werden nicht untersucht. Zudem wird nur die Empfindlichkeit bestimmter, ausgewählter Tier- und Pflanzenarten geprüft, nämlich die, die im Regelfall besonders empfindlich sind. Das kann aber für einzelne Substanzen auch ganz anders sein.

Der Bericht des Sonderausschusses des Europäischen Parlaments listet noch etliche weitere Punkte – jetzt ist es an der Kommission, einen Reformvorschlag zu machen, der diese Lücken schließt!

Der Bericht (englisch) findet sich hier:

http://www.europarl.europa.eu/cmsdata/153369/1162183EN.pdf