PRESSEMITTEILUNG: EU-Kommission knickt vor fossil-atomarer Lobby ein

PRESSEMITTEILUNG, Samstag, 1. Januar 2022 – Brüssel
EU-Kommission knickt vor fossil-atomarer Lobby ein
 
Eine Stunde vor Jahreswechsel legte die Europäische Kommission den Entwurf für einen zweiten Delegierten Rechtsakt zur neuen EU-Finanztaxonomie vor. Darin werden Atomkraft und Erdgas ab 2023 als nachhaltige Übergangstechnologien eingestuft. Für beide Technologien werden Bedingungen festgelegt. Atomkraft soll als nachhaltig gelten, falls Fonds für die Lagerung des Atommülls und den Rückbau der Kraftwerke existieren und Pläne für ein Endlager existieren. Das betrifft nicht nur Neubauten, sondern auch Laufzeitverlängerungen. Investitionen in fossiles Erdgas sollen bis 2030 möglich sein, als Bedingung gilt, dass es Pläne oder Verpflichtungen für den Einsatz sogenannter „low carbon“ Gase spätestens ab 2035 gibt.
 
 
Dazu kommentiert die Energieexpertin der Grünen im Europäischen Parlament, Jutta Paulus, Mitglied im Umweltausschuss, stellvertretendes Mitglied im Industrieausschuss des Europäischen Parlaments:
 
„Mit diesem Vorschlag zerstört die Europäische Kommission die Glaubwürdigkeit der EU-Finanztaxonomie. Investitionen in Technologien, die jahrtausendlang strahlenden Müll produzieren oder die Erderhitzung beschleunigen als nachhaltig einzustufen, wird kein Vertrauen bei Anlegerinnen und Anlegern bewirken.  Die Taxonomie als möglicher weltweiter Standard ist nur zu retten, wenn das Europäische Parlament oder der Rat der Mitgliedstaaten diesen Delegierten Rechtsakt ablehnen.
 
Es ist abenteuerlich, welche Klimmzüge die Kommission vollzieht, um Atomkraft entgegen wissenschaftlicher Erkenntnisse als nachhaltig einzustufen. So hat die SCHEER-Expertenkommission die katastrophalen Umweltfolgen des Uranabbaus als Ausschlusskriterium eingestuft. Die Kommission reagiert darauf, indem sie den Abbau explizit als „nicht nachhaltig“ einstuft – als ob Atomkraftwerke nicht auf den Urannachschub angewiesen wären. Ebenso werden Vorgaben zur Vermeidung nuklearer Unfälle als Garantie für deren Verhinderung gewertet, und Konzepte für die Endlagerung hochradioaktiven Mülls sollen als gesicherter Entsorgungsweg gelten. Wie weit sich die Kommission von der Realität entfernt hat, zeigt ihre Behauptung, der Atom- und der Erdgassektor seien „durch rapide technologische Entwicklung“ geprägt. Offenbar glaubt sie den Werbeaussagen der Nuklearlobby, die gescheiterte Uraltkonzepte wie den Schnellen Brüter als Innovation verkaufen will.
 
Im Bereich fossiles Erdgas sieht es nicht besser aus. Sowohl neue Gaskraftwerke als auch Gas-Fernwärme werden als nachhaltig definiert. Eine Alternativenprüfung, ob Erneuerbare Energien nicht dieselbe Leistung erbringen können, wird zwar erwähnt, aber klare Kriterien legt die Kommission nicht fest. Die Bedingungen zum Umstieg auf erneuerbare Gase sind wenig ambitioniert und passen nicht zu unseren Klimazielen.
 
Mit diesem Vorschlag provoziert die Europäische Kommission eine Klagewelle vor dem Europäischen Gerichtshof und gibt die EU-Finanztaxonomie der Lächerlichkeit preis.“
  
Hintergrund:
 

Die EU-Taxonomie ist eine für alle EU-Mitgliedstaaten bindende Verordnung, mit der Kriterien für nachhaltige Investitionen definiert werden. Da im Rahmen der Verhandlungen zur Taxonomieverordnung keine Einigung zur Rolle von Erdgas und Atomkraft erzielt werden konnte, wurde die Klärung dieser Punkte verschoben und die Europäische Kommission aufgefordert, auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse einen Delegierten Rechtsakt vorzulegen.

Zentraler Bestandteil der EU Taxonomie ist das Prinzip des „Do no significant harm”. Ob eine Investition nachhaltig ist, hängt demnach davon ab, ob die jeweilige Technologie signifikanten Schaden anrichten kann.

Der heute vorgelegte Delegierte Rechtsakt kann nicht geändert werden, sondern nur durch die EU-Mitgliedstaaten oder das Europäische Parlament in Gänze abgelehnt werden.

Die Europäische Kommission hat bei ihrer Entscheidung die Folgen möglicher nuklearer Unfälle und des Uranabbaus außer Acht gelassen.

Artikel 10 der Taxonomieverordnung schließt die alleinige Vermeidung von CO2- Emissionen, also bloße Klimaneutralität, für eine nachhaltige Einstufung aus. Zusätzlich zur Klimaneutralität müssen auch weitere Kategorien grüner Aktivitäten erfüllt werden. Diese Kategorien sind bereits Teil der Taxonomieverordnung und können nicht ausgeweitet werden. Hinsichtlich des Beitrags von Atomkraft und Gas zu diesen Kategorien wird mehrfach auf einen Appendix verwiesen, der noch nicht vorliegt.

Im Januar 2020 habe ich auf meiner Webseite bereits einen ausführlichen Artikel zur EU-Taxonomie veröffentlicht.

Update 05. Januar 2022: Aufgrund der vielen aktuellen Fragen zur Taxonomie habe ich einen neuen ausführlichen Artikel zur EU-Taxonomie verfasst.