Spezies der Woche #126 – Erdhenne

Diese Woche haben wir eine ganz besondere Spezies für euch gefunden. Zum Glück verfügen meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über umfassende Artenkenntnisse. Meine beste Büroleitung ist daher vertrauenswürdige Augen-, oder besser Ohrenzeugin, einer äußerst seltenen Art. Der Erdhenne, Columber domestius. Generationen von Alpenbewohnerinnen und -bewohnern kennen die Erdhenne genau. Denn ihr Gluckern und Gackern ist häufig aus dunklen Zimmerecken und dem Fußboden zu hören. Doch wehe, wenn sie sichtbar wird, dann hat das letzte Stündlein geschlagen.
 
Verbreitungsstatus
 
unbekannt
Restvorkommen
Gesamte Alpenregion
Letzte Sichtung
unbekannt
Lebensraum
Holzdecken und Fußböden, Keller, dunkle Zimmerecken
Gefährdung
Betondecken, Unglaube
 
Die Erdhenne, die auch Erdhühnlein, Erdglucke, Erdglutsch oder Herdhendl genannt wird, ist ein Hausgeist aus dem gesamten Alpenraum, der Oberpfalz und Bayern.
Die Stimme dieses Geistwesens dringt nach vielfacher Erkenntnis aus dem Erdboden oder einer dunklen Ecke der Stube und klingt wie das Glucksen, beziehungsweise Piepsen, einer Henne, die Küken führt.
 
Die Erdhenne soll, wie die Unke oder die Hausotter, ein freundlicher Schutzgeist sein, der die Bewohnerinnen und Bewohner des Hauses vor anbahnendem Unglück warnt. Es hieß einst, dass derjenige, der die Erdhenne sieht, noch innerhalb desselben Jahres sterben müsse. Im 18. Jahrhundert bezweiftelte der Autor J. W. Aurichtahl in seiner 1718 erschienen Aberglaubensammlung die Existenz von Erdhennen, weil seine Forschungsfallen statt Erdhennen nur Mäuse in den besagten Zimmerecken und Dachböden fingen. Heutzutage weiß man aber, dass die Erdhenne wirklich existiert. Es gibt ornithologische Aufnahmen, die eindeutig die Erdhenne identifizieren. Diese sind allerdings seit einiger Zeit verschollen. .
Die Korrelation von ErdhennenSichtungen und anschließenden Todesfällen wurde allerdings noch nicht wissenschaftlich untersucht. Hier ist ein großer, kurzfristiger Ausfall an Forschern und wissenschaftlichen Hilfskräften zu verzeichnen, der die Datenerhebung deutlich stört.
 
Möglicherweise hat die Erdhenne aber auch primär präventiven Charakter. Wie in diesem Bericht aus Österreich nahe legt:. Ein solcher Geist hat sich vor langer Zeit auf „Baumgarten“ im Gerlostal in Tirol aufgehalten. Es geschah öfter im Jahr, dass die Leute, wenn sie am Abend in der Stube beisammen saßen, vom Fußboden herauf das Gluggeln vernahmen. Sie wussten, dass sich der Geist damit anmeldete, um vor einer Gefahr zu warnen. Was aber noch viel wichtiger war: Er gab auf gestellte Fragen immer bereitwillig Antwort.
So gluggelte der Geist einmal besonders lang und heftig, und die Leute bekamen es schon mit der Angst zu tun, weil sie meinten, ein großes Unglück stehe bevor. Da fragte der Bauer den Geist, was es denn gebe. „Schaut in der alten Küche nach!“,lautete die Antwort, und gleichzeitig hörte das Gluggeln auf. Als die Leute in der alten Küche Nachschau hielten, bemerkten sie, dass es im Heublumenfass „gschmödete“ und sich der Brandgeruch schon im ganzen Raum ausbreitete. Das feuchte Heu hatte sich selber entzündet. Durch die Warnung der Erdhenne konnte der im Entstehen begriffene Brand rechtzeitig entdeckt und der Hof vor einer Feuersbrunst bewahrt werden.
 
Also gebt gut auf eure Erdhennen acht und rutscht fröhlich ins nächste Jahr,
Eure Jutta
 
Bild: Von Rene Fleischer – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=26754778