UN-Klimakonferenz COP27: Erreichung des 1,5 Grad-Ziels rückt in weite Ferne 

22. November 2022

UN-Klimakonferenz COP27: Erreichung des 1,5 Grad-Ziel rückt in weite Ferne 

Die Weltklimakonferenz COP27 im ägyptischen Sharm el-Sheikh ist in den frühen Morgenstunden des 20. Novembers abgeschlossen worden. Ich habe in der zweiten Woche an der Konferenz teilgenommen und selbst erlebt, mit welchen teils absurden Behauptungen manche Staaten eine realistische Beschreibung der Gründe für die nahende Klimakatastrophe im Text der Abschlusserklärung verhindert haben. Nur die Schaffung eines neuen Fonds für Verluste und Schäden durch die Klimakrise für die ärmsten und verletzlichsten Staaten ist begrüßenswert, allerdings enttäuscht die COP27 in praktisch allen anderen Bereichen. Kurz sah es sogar so aus, dass die Verhandlungen ganz scheitern könnten. Unser Planet bleibt nach dieser Klimakonferenz auch weiterhin auf dem Weg zu einer Erderwärmung von mindestens 2,4 Grad Celsius bis zum Ende dieses Jahrhunderts.

Die Erwartungen an die COP27 waren von Anfang an gering. Es sollte eine „Umsetzungs-COP“ werden; die Verpflichtungen von Paris und Glasgow sollten mit konkreten Handlungen unterlegt werden. Damit war allen Staaten seit einem Jahr bekannt, worum es bei dieser Klimakonferenz gehen würde. Dennoch war bis kurz vor Verhandlungsbeginn nicht klar, ob die durch die Klimakrise verursachten, unwiederbringlichen Verluste und Schäden (engl.: „loss and damage“) es überhaupt auf die Verhandlungsagenda schaffen würden. Und das, obwohl bereits heute die Folgen der Klimakrise weltweit immer spürbarer werden und Länder wie Pakistan oder Eritrea existenzbedrohende Katastrophen erleben. 

Für die Europäische Union war klar, dass es kein Zurückfallen hinter die im letzten Jahr gefassten Beschlüsse von Glasgow geben durfte und das Ziel einer maximalen Erderwärmung auf möglichst 1,5 Grad Celsius nicht verhandelbar ist. Doch einige Staaten der Weltgemeinschaft wollten das historische Pariser Abkommen rückgängig machen, indem die 1,5 Grad-Grenze nicht mehr erwähnt und nur noch von „unter 2 Grad“ gesprochen wird. Dabei wurde auch in diesem Jahr offensichtlich, was eine Erderwärmung von 1,1 Grad Celsius bereits anrichtet: Der drittwärmste je gemessene Sommer in Europa mit Extremdürren und Bränden, großflächige Überschwemmungen in Pakistan mit rund 1700 Todesopfern und Millionen Obdachlosen, Tornados in Frankreich, Großbritannien und Deutschland im Herbst – die Liste lässt sich noch weiter fortführen. Am Ende konnte der Bezug zu 1,5 Grad im Text erhalten werden. Absurderweise war es aber nicht möglich, die offensichtliche Tatsache, dass für Klimaneutralität die vollständige Abkehr vom Verbrennen fossiler Brennstoffe notwendig ist, in der Abschlusserklärung zu verankern. Denn das Veto von Russland, China, Iran und Saudi-Arabien konnte nicht aufgebrochen werden. Ebenso konnte das erklärte Verhandlungsziel der EU, nämlich einen Rückgang der weltweiten Emissionen bis spätestens 2025 („peak emissions“) im Text zu verankern, nicht erreicht werden. Es gibt aber auch positive Entwicklungen. So enthält der Text der Abschlusserklärung erstmals einen Bezug zu den gefährlichen irreversiblen Kipppunkten, und die Rolle naturbasierter Lösungen für Klimaschutz und Klimaanpassung wird angemessen dargestellt. Auch die Wichtigkeit des Ausbaus Erneuerbarer Energien wird erstmals im Text erwähnt, wobei hier in letzter Sekunde „low carbon“ (also „emissionsarm“) in die Formulierung gepusht wurde. Damit ist nicht nur Atomkraft gemeint, sondern auch fossiles Gas mit CO2-Abscheidung – eine Rettungsleine für die fossilen Konzerne. Dabei ist fossiles Erdgas schon wegen der Methanemissionen bei Förderung und Transport alles andere als emissionsarm. Denn Methan ist um ein Vielfaches klimaschädlicher als CO2: eine Tonne Methan verursacht in einem Zeitraum von 20 Jahren mehr als 80 Mal stärker treibhauswirksam als eine Tonne CO2 und wird zu CO2.

Klimakatastrophen und Extremwetterereignisse, die Leib und Leben bedrohen, Menschen ihre Existenz rauben, und Nahrungsmittelkrisen verursachen, nehmen zu. Besonders hart trifft es Entwicklungs- und Schwellenländer, die am wenigsten für den Anstieg der weltweiten Durchschnittstemperatur verantwortlich sind, aber deren Folgen bereits heute schmerzlich spüren. Schäden und Verluste werden gerade in den Ländern des Globalen Südens in den nächsten Jahren und Jahrzehnten gemäß den Szenarien des Weltklimarats drastisch zunehmen und nicht bei den heutigen 200 Milliarden Dollar jährlich verharren. Deshalb ist die Schaffung eines neuen Fonds für Klimaschäden und -verluste begrüßenswert. Die Industrieländer hatten sich lange dagegen gesperrt, und nur durch die Initiative der EU konnte das Vorhaben auf den Weg gebracht werden. Bedingung der EU war, dass nur wirklich arme und verwundbare Staaten unterstützt werden, und dass sich weitere Geberländer außer EU, USA, Japan und Großbritannien anschließen. Der neue Fonds soll 2024 kommen und bis zur nächsten Klimakonferenz in den Vereinigten Arabischen Emiraten 2023 soll durch eine Arbeitsgruppe unter Einbeziehung der Weltbank geklärt werden, wie der neue Geldtopf strukturiert und befüllt wird und welche Länder Anspruch auf Entschädigungen bekommen können. Knackpunkt bei der Ausarbeitung wird auch die zukünftige Rolle der Volksrepublik China sein, die nach wie vor auf ihrem vor 30 Jahren vereinbarten Status als Entwicklungsland beharrt. Das Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen (UNFCCC) sprach Entwicklungsländern 1992 mehr Flexibilität bei der Bekämpfung des Klimawandels zu. Damals lagen sowohl die wirtschaftliche Entwicklung als auch die Treibhausgasemissionen Chinas weit hinter Europa und den USA zurück. Heute ist die Volksrepublik der größte Emittent weltweit. 

Ich habe in der vergangenen Woche zahlreiche Gespräche mit Akteur*innen aus Politik, Zivilgesellschaft und Unternehmen darüber geführt, welche Maßnahmen in unterschiedlichen Sektoren nötig sind, um den jeweiligen Klimaverpflichtungen nachzukommen. In der Schifffahrt gibt es bereits viel Bewegung auf EU-Ebene, aber auch in den USA, wo ein Gesetz für saubere Schifffahrt in den Kongress eingebracht wurde. Sollte diese Initiative erfolgreich sein, kann das gemeinsam mit den Bestrebungen der EU dazu führen, dass endlich mehr Investitionen in moderne Technologien zur Windnutzung und in synthetische Treibstoffe für den Sektor fließen.

Besonders wichtig war es für mich, meine Gesprächspartner*innen in Sharm el-Sheikh für die engen Verflechtungen von Natur- und Klimaschutz zu sensibilisieren und Alliierte im Kampf gegen das weltweite Massenaussterben zu gewinnen. Es wurde auf der COP27 viel über Geld für den Kampf gegen die Folgen der Klimakrise verhandelt. Durch naturbasierte Klimaschutzmaßnahmen können nicht nur Umwelt und Klima geschützt werden, sondern auch eine Menge Geld gespart werden. Nach der Weltklimakonferenz werde ich mich auf der Weltbiodiversitätskonferenz COP15 in drei Wochen dafür einsetzen, dass endlich die nötigen Schritte zum Schutz von Arten, und Lebensräumen ergriffen werden – das würde sowohl dem Klimaschutz als auch der Anpassung an die Folgen des Klimawandels dienen. Beispielsweise bietet die Wiedervernässung von Feuchtgebieten wie Mooren nicht nur bedrohten Arten einen Lebensraum, diese Ökosysteme binden auch Kohlenstoff und regulieren den Wasserhaushalt, ein wichtiger Schutz gegen Dürren und Hochwasser. Jeder in Renaturierungsmaßnahmen investierte Euro führt laut Berechnungen der Europäischen Kommission zu einem Mehrwert von 8 bis 38 Euro, da die Ernährungssicherheit, die Widerstandsfähigkeit von Ökosystemen, der Klimaschutz und die Gesundheit gestärkt werden.

Fast unbemerkt fand zeitgleich zur Weltklimakonferenz die Konferenz über das Washingtoner Artenschutzübereinkommen (CITES) statt. Hier kam es zu einem Durchbruch beim Schutz von Haien, der Hoffnung für die anstehende Weltbiodiversitätskonferenz macht. Die CITES-Konvention begrenzt den Handel mit wildlebenden Tieren und Pflanzen, um ihr Überleben zu sichern. Hierfür kann auch der Handel mit Arten reguliert oder verboten werden. Überraschend wurden erstmals 60 Haiarten unter Schutz gestellt und darüber hinaus der Schutz von 120 Baumarten verbessert. CITES machte in diesen Tagen Hoffnung auf die Biodiversitätskonferenz im Dezember.

Im vergangenen Jahr wurde auf der COP26 auf Initiative der EU und der USA der Global Methane Pledge auf den Weg gebracht. Es handelt sich um eine freiwillige Verpflichtung von Staaten, ihre Methanemissionen bis 2030 zu reduzieren. Bis zur COP27 haben sich 140 Länder angeschlossen, die gemeinsam die Hälfte der weltweiten Methanemissionen abdecken. Der Methane Pledge ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, aber er bleibt nach wie vor freiwillig und geht nicht weit genug. So wären weitaus mehr als die angepeilten 30 Prozent Methanreduktion möglich, und statt allein den Energiesektor in die Pflicht zu nehmen, müssen alle Sektoren ihren Beitrag leisten. 

Am Rande der COP27 gab es positive Entwicklungen in diese Richtung. Die USA, die weltweit an dritter Stelle bei Methanemissionen stehen, haben angekündigt, ihre Methanemissionen aus dem Öl- und Gassektor bis 2030 um 87 Prozent zu senken. Die US-Regierung hat zudem eine nationale Methansteuer auf den Weg gebracht. Auch bei uns in der Europäischen Union laufen die Verhandlungen für strengere Reduktionsmaßnahmen von Methan weiter. Als Berichterstatterin für die neue EU-Methanverordnung verhandle ich für das Europäische Parlament gesetzliche Vorgaben für den Energiesektor, mit denen die Methanemissionen auf das technisch mögliche Maß begrenzt werden sollen. Leider haben sich weder China noch Indien oder Russland dem Globale Methane Pledge angeschlossen, doch der chinesische Klimaunterhändler Xie Zhenhua kam zumindest für eine halbe Stunde zu den Gesprächen der teilnehmenden Staaten vorbei. Ein solcher Besuch ist aus diplomatischer Hinsicht tatsächlich ein positives Zeichen, denn es verdeutlicht, dass China und die USA wieder zusammen über Klimapolitik reden. China kündigte zudem an, einen nationalen Methanplan auszuarbeiten. In Zukunft wird es im Kampf gegen menschengemachte Methanemissionen darum gehen müssen, neben dem Energiesektor auch endlich die Landwirtschaft einzubeziehen, die für 43 Prozent der Methanemissionen verantwortlich ist. Auf der COP27 kündigte der US-Vertreter John Kerry an, sich mehr auf die Landwirtschaft und Methan aus Mülldeponien konzentrieren zu wollen.

Am Ende der COP27 bin ich vor allem darüber erleichtert, dass die Konferenz nicht ohne Ergebnis zu Ende ging. Der neue Fonds gegen Klimaverluste und Klimaschäden kann ein wichtiges Instrument im Kampf gegen die Folgen der Klimakrise werden und ist unerlässlich für internationale Gerechtigkeit. Wie ernst es der Weltgemeinschaft mit der Solidarität ist, wird sich in einem Jahr in Dubai zeigen, wenn die Vertragsstaaten zur COP28 zusammenkommen werden. Für die Europäische Union gilt es bis dahin, zu beweisen, dass eine fossilfreie und erneuerbare Zukunft nicht nur möglich, sondern auch erreichbar ist. Die in Sharm el-Sheikh angekündigte Partnerschaft zwischen Europäischer und Afrikanischer Union ist ein solcher Schritt in die richtige Richtung. 

Die Klimakrise wartet nicht, bis alle Verhandlungspartner sich auf kleinste gemeinsame Nenner einer Abschlusserklärung geeinigt haben. Besonders erschreckend ist eine neue Studie der Internationalen Energieagentur, die traditionell nicht gerade eine Verfechterin Erneuerbarer Energien war. Darin finden sich Zahlen, die jeden und jede aufrütteln müssen. Die aktuelle Flotte an Kohlekraftwerken weltweit würde bei den aktuell geltenden Laufzeiten und Auslastungen zwischen 2022 und 2100 330 Gigatonnen CO2 ausstoßen. Das ist mehr, als Kohlekraftwerke bis heute weltweit emittiert haben. Diese weltweit laufenden Anlagen allein würden dadurch zwei Drittel des verbliebenen CO2-Budgets verbrauchen, das für die Erreichung des 1,5 Grad-Ziels noch maximal erlaubt ist.

Hier geht es zur Studie der IEA. 

Außerdem findet sich hier ein Interview, das ich mit dem SWR geführt habe.