Anhörung im Umweltausschuss (ENVI) zum CO2-Ausstoß der Seeschifffahrt
ANHÖRUNG, Dienstag, 21. Januar 2020 – Brüssel
Die sogenannte „MRV-Verordnung“ (monitoring, reporting and verification) von 2015 regelt die Überwachung, Berichterstattung und Überprüfung von Informationen über den CO2-Ausstoß der Seeschifffahrt.
Den Livestream der Anhörung mit meinem Beitrag findet Ihr hier ab 16:12:50: https://www.europarl.europa.eu/ep-live/de/committees/video?event=20200121-1430-COMMITTEE-ENVI
Mein Kommentar:
„Wenn die Schifffahrt ein Land wäre, wäre sie das Land mit den sechsthöchsten CO2-Emissionen der Welt. 3 % der weltweiten Treibhausgasemissionen gehen auf die Seeschifffahrt zurück und Prognosen beziffern einen Zuwachs von 50-150 % bis 2050. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns jetzt die Emissionen aus der Schifffahrt genau anschauen und Möglichkeiten finden, sie zu reduzieren. Die MRV-Verordnung beschränkt sich zurzeit nur auf eine Messung und Überprüfung der Emissionen, jedoch noch nicht auf eine Minderung. Mit dem EU-Green Deal von Frau von der Leyen müssen jetzt auch die Emissionen sinken und die Schifffahrt in den Emissionshandel einbezogen werden.“
Zusammenfassung der Anhörung:
Als Berichterstatterin für die globale Datenüberwachung für Schifftreibstoffverbrauch habe ich die Anhörung zusammen mit dem Vorsitzenden des Umweltausschusses eröffnet. Danach haben verschiedene Vertreter*innen aus Wissenschaft, Industrie und Umweltorganisationen ihre Positionen dargelegt, gefolgt von einer lebhaften Diskussion mit den Parlamentariern.
Der Wissenschaftler Erik Fridell vom Schwedischen Umweltforschungszentrum IVL hat in seiner Präsentation die Emissionen verschiedener Transportmittel und Kraftstoffe verglichen und Zukunftsperspektiven aufgezeigt. 10 % der globalen Emissionen der Seeschifffahrt gehen auf Schifffahrt in der EU zurück. Vergleicht man den CO2 Ausstoß pro 1000 Tonnen transportierte Fracht, schneidet die internationale Schifffahrt besser ab, als der Transport über Lastwägen und Dieselzüge. Herr Fridell ist ein Befürworter der MRV-Verordnung, da sie es erstmalig ermöglicht, überhaupt Daten zu den Emissionen der Schifffahrt auszuwerten. Ich stimme ihm zu, dass die Datenqualität verbessert werden könnte. Hierzu stehe ich bereits im Austausch mit der Europäischen Kommission. Des Weitern werde ich vorschlagen, den Umfang der Verordnung auf alle Treibhausgase auszuweiten, da, wie auch von Herrn Fridell kritisiert, zurzeit vorgelagerte Emissionen nicht berücksichtigt werden. Das wird in Zukunft wichtig werden, da LBG (Flüssigbiogas) und Bio-Methanol zwar bilanziell klimaneutral eingestuft werden, jedoch bei der Herstellung große Mengen an Energie benötigen. Als langfristige Perspektive sieht Fridell die Umstellung auf effizientere Schiffe, alternative Treibstoffe und Windantrieb. Schon heute verbrauchen moderne Schiffe rund 45 % weniger als Schiffe vor 10 Jahren. Da die meisten Schiffe jedoch eine durchschnittliche Lebensdauer von 40 Jahren haben, dauert es zu lange, bis die alten, besonders umweltschädlichen Schiffe vom Markt verschwinden. Dafür setzt Fridell auf die Einführung eines CO2-Preises für die Schifffahrt durch eine Ausweitung des EU-Emissionshandelssystems (EHS). Kurzfristige Maßnahmen für die Reduktion von Emissionen sieht er vor allem in der Geschwindigkeitsreduzierung, erneuerbaren Kraftstoffen und in operativen Maßnahmen. Auch diesen Punkt habe ich in meinem Gesetzesentwurf berücksichtigt, mit der Forderung nach einer Effizienzsteigerung um 40%.
Präsentation auf Englisch: https://www.europarl.europa.eu/meetdocs/2014_2019/plmrep/COMMITTEES/ENVI/DV/2020/01-20/Erick_Fridell_presentation_EN.pdf
Simon Christopher Bergulf, Direktor für regulatorische Angelegenheiten bei A.P. Møller – Mærsk, der größten Containerschiffsreederei der Welt, sieht die Schifffahrt vor der dritten großen Revolution. Nach der Umstellung von Wind auf Dampf und der Umstellung von Dampf auf Öl steht jetzt die Umstellung auf klimaneutrale Kraftstoffe an. Es gibt bereits vollelektrische Fähren, aber Containerschiffe umzurüsten ist eine große Herausforderung. Bis 2030 will Mærsk seine Emissionen um 60 % senken und 2050 klimaneutral sein. Bergulf sieht die Dekarbonisierung als den wichtigsten Schritt an; die Reduktion der Emissionen alleine reiche nicht aus. Von der EU fordert Mærsk fünf Grundprinzipien:
- EU-Maßnahmen müssen flaggenneutral sein, also alle Schiffe betreffen, die EU-Häfen nutzen, egal unter welcher Flagge sie fahren.
- EU-Maßnahmen müssen zu einer tatsächlichen Einsparung von Emissionen führen. Manche jetzigen Maßnahmen erfüllen dieses Kriterium nicht.
- EU-Maßnahmen dürfen nicht zur Auslagerung von Emissionen in andere Länder führen.
- EU-Maßnahmen sollten nicht zu unfairem Wettbewerb führen und Marktvorreiter schützen.
- EU-Maßnahmen sollten die Ziele der Internationale Seeschifffahrts-Organisation (IMO) unterstützen und als Inkubator für globale Lösungen dienen.
Auch Bergulf unterstützt Fridells Forderung nach einer Geschwindigkeitsreduktion der Schiffe, wenn dies sinnvoll ist. Manche Schiffe müssen bis zu 12 Stunden vor einem Hafen warten, bis sie einfahren können. Durch Digitalisierung wäre es heute schon möglich, dem Kapitän frühzeitig mitzuteilen, wann ein Platz frei ist. Dann könnte das Schiff seine Geschwindigkeit so reduzieren, dass es genau pünktlich ankommt und damit enorme Mengen an Treibstoff sparen. Ich unterstütze Bergulf in seiner Forderung nach mehr Regulierung der Häfen und sehe hier ein sehr großes Emissionseinsparpotential, was ohne großen Aufwand sofort umzusetzen wäre.
Verena Graichen, Wissenschaftlerin für Energie und Klima am Öko-Institut e.V., hat die Emissions-Prognosen und die angestrebten Ziele und Maßnahmen der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation (IMO) vorgestellt. Die Emissionen steigen laut den Prognosen weiter an, aber die IMO hat sich ambitionierte (allerdings rechtlich nicht bindende) Ziele gesetzt, diese zu reduzieren. Es soll Effizienzmaßnahmen geben, aber eine Einigung auf eine Bepreisung war in der IMO nicht durchsetzbar. Eine Lösung wäre, die Schifffahrt in den EU-Emissionshandel einzubeziehen.
Die Strategie der IMO soll 2023 überarbeitet werden. Dabei sollen die existierenden Maßnahmen ausgebaut und Effizienz, Geschwindigkeitsoptimierung, Hafeninfrastruktur, Forschung, technische Kooperation und nationale Aktionspläne verbessert werden. Meiner Meinung nach ist das jedoch viel zu spät, denn die Schiffe sind rund 40 Jahre im Einsatz. Man muss jetzt damit anfangen, emissionsneutrale Schiffe zu bauen.
Faig Abbasov, Experte für Schifffahrt bei der Umweltorganisation „Transport and Environment, T&E“, stellte den EU-Schifffahrts-Klimaatlas vor. Dieser beruht auf der MRV-Datenbank, der Clarkson’s Datenbank, Alphalier Datenbank und Eurostat und wurde vom Internationalen Rat für sauberen Verkehr (ICCT) begutachtet. Wichtigste Erkenntnis: Der „Real-World-Performance-Gap“ zeigt die Lücke zwischen den nominalen und den realen Emissionen. Ähnlich wie im Kfz-Bereich klaffen der vom Hersteller angegebene und der im Fahrbetrieb gemessene Kraftstoffverbrauch um mehr als 25% auseinander. Auch Abbasov empfiehlt der EU, den EU-Emissionshandel auf die Schifffahrt auszuweiten. Dabei würden die Kosten für die transportierten Waren insgesamt kaum steigen. Eine Banane aus Ecuador würde bei einem CO2-Preis von 50 €/t CO2 um weniger als 1 Cent teurer. Mit dem im Emissionshandel eingenommenen Geld sollten Investitionen in Hafeninfrastrukturen gefördert werden, wie Landstromanschlüsse, Wasserstoffinfrastruktur und Speichertechnologien. Marktvorreiter mit klimaneutralen Schiffen könnten unterstützt werden.
Meine 3 zentralen Forderungen sind:
- Die Seeschifffahrt muss in das EU-Emissionshandelssystems einbezogen werden, ab 01.01.2021.
- Effizienzziel: –40 % Treibhausgas-Emissionen je Tonne transportierter Fracht und gefahrener Seemeile bis 2030.
- Die Kommission muss eine Zero Emission Port Initiative starten, damit Schiffe verpflichtend Landstrom beziehen müssen.