EU-Renaturierungsgesetz: Countdown für mehr Naturschutz in Europa

Bis zuletzt war unklar, ob die Europäische Kommission das EU-Renaturierungsgesetz am 22. Juni vorstellen oder abermals auf Druck von Agrarlobbys und einzelner EU-Kommissare verschieben würde. Das Renaturierungsgesetz ist ein zentraler Bestandteil des Europäischen Green Deal und das erste echte europäische Naturschutzgesetz seit mehr als zwanzig Jahren. Mit dem fadenscheinigen Argument einer angeblichen Lebensmittelknappheit gibt es Bestrebungen, nicht nur Naturschutzstandards abzuschwächen, sondern den kompletten Artenschutzteil des Green Deals auf Eis zu legen. Dabei wissen wir nicht nur aus der Forschung, sondern auch aus dem Ukrainekrieg: Hunger ist keine Folge von Nahrungsmittelmangel, sondern von falscher Verteilung. Und wir wissen, dass gesunde Ökosysteme Voraussetzung für langfristige Lebensmittelsicherheit sind. 

Es ist gut, dass EU-Umweltkommissar Sinkevicius nicht eingeknickt ist, und ich freue mich auf seinen Vorschlag für das EU-Renaturierungsgesetz. Selbstverständlich halte ich Euch auf dem Laufenden und schaue mir morgen genau an, ob das EU-Renaturierungsgesetz der Meilenstein wird, den unsere Natur so dringend braucht!

Was ist das EU-Renaturierungsgesetz?

Das EU-Renaturierungsgesetz („EU Nature Restoration Law“) ist das erste echte europäische Naturschutzgesetz seit mehr als zwanzig Jahren. Es ist der Nachfolger der EU-Habitatrichtlinie und der EU-Vogelschutzrichtlinie und soll diese ergänzen. Leider hinken die EU-Mitgliedstaaten bis heute mit der Umsetzung des bestehenden EU-Naturschutzrechts hinterher. So laufen auch gegen Deutschland seit Jahren mehrere Vertragsverletzungsverfahren. Auf Grundlage der Habitat- und Vogelschutzrichtlinien weisen Mitgliedstaaten Schutzgebiete nach wissenschaftlichen Kriterien aus, die „Natura 2000“- Gebiete. Das bloße Ausweisen von Flächen reicht selbstverständlich nicht für einen effektiven Naturschutz.  Es fehlt an wirksamen Managementplänen zur Erreichung des Schutzziels für bedrohte Arten und Lebensräume in den Natura 2000-Schutzgebieten. Das EU-Renaturierungsgesetz soll nicht nur das bestehende EU-Naturschutzrecht verbessern, sondern zusätzliche, bindende Maßnahmen zur Wiederherstellung bereits zerstörter Lebensräume beinhalten.

Laut Definition der Gesellschaft für ökologische Wiederherstellung ist Renaturierung ein lösungsorientierter Ansatz, der Gemeinden, Wissenschaftler*innen, politische Entscheidungsträger*innen und Landnutzer*innen einbindet, um ökologische Schäden zu beheben und eine gesündere Beziehung zwischen Menschen und dem Rest der Natur wiederherzustellen. Renaturierung schützt die biologische Vielfalt, verbessert Gesundheit und Wohlbefinden der Menschen und erhält die Wasser- und Nahrungsmittelsicherheit. 

Rund 20 Prozent der europäischen Gewässer werden durch Barrieren beeinträchtigt. Staudämme, Wehre und Schleusen sind die wichtigsten Hindernisse für einen guten ökologischen Status. Ungefähr eine Million Barrieren befinden sich in europäischen Flüssen, mindestens 10 Prozent haben keinen aktuellen Nutzen mehr. Die Beseitigung dieser überflüssigen Barrieren kann einen wichtigen Beitrag für mehr Arten- und Naturschutz leisten. Auch der Hochwasserschutz profitiert, denn bei naturbasierter Hochwasservorsorge spart jeder investierte Euro rund fünf Euro möglichen Flutschaden. Weitere wichtige Maßnahmen für eine effektive Renaturierung sind die Wiedervernässung von Feuchtgebieten wie Mooren und Auen, die Wiederherstellung von Seegraswiesen und artenreichen Wäldern oder die Umwandlung von stark gedüngten Wiesen oder Ackerland in biodiversitätsreiches Grünland.

Warum werden bestehende EU-Umweltgesetze nicht einfach nachgebessert?

Durch die Ausweisung von Natura 2000-Gebieten wurde wertvolle Vorarbeit geleistet. 

Mehr als ein Fünftel der Landfläche Europas sowie sechs Prozent der europäischen Meere machen das Natura 2000-Netz zu einem der größten zusammenhängenden Netzwerk von Schutzgebieten weltweit. Die letzten zwanzig Jahre haben aber gezeigt, dass die EU-Mitgliedstaaten mit der Umsetzung bestehender Gesetze hinterherhinken und bereits die alten Schutzvorgaben nicht einhalten. Laut Europäischer Umweltagentur wurden die Ziele der EU-Biodiversitätsstrategie 2020 verfehlt und der Erhaltungszustand europäischer Tierarten und Ökosysteme hat sich im Zeitraum 2013 bis 2018 verschlechtert. 

Der Weltbiodiversitätsrat stuft Europa nach Indien als die Region mit der am wenigsten intakten Artenvielfalt ein. Das hat auch Folgen für uns Menschen, denn ohne gesunde Ökosysteme stehen uns weder trinkbares Wasser, noch saubere Luft, fruchtbare Böden, fischreiche Ozeane, bestäubte Obstbäume, biobasierte Wirkstoffe und vieles mehr zur Verfügung. Auch die Gefahr von Zoonosen wie Covid19 wird durch den Druck auf Wildnisgebiete in Zukunft noch wahrscheinlicher.

Was muss rein ins EU-Renaturierungsgesetz?

Die Maßnahmen und Ziele im EU-Renaturierungsgesetz müssen die Dringlichkeit und Schwere des Artensterbens widerspiegeln. Das heißt, dass sie in jedem Fall bindend und ambitioniert sein müssen. Freiwilligkeit hat uns nicht viel weitergebracht. Das Europäische Parlament forderte mehrheitlich, dass jeder EU-Mitgliedstaat mindestens 30 Prozent der Land- und Seeflächen bis 2030 unter Schutz stellt. Die EU-Kommission wird sich vermutlich an dieser Zielmarke orientieren, doch diese ist nur das absolute Minimum. Laut Weltklimarat und führenden Wissenschaftler*innen müssen 30-50 Prozent der weltweiten Flächen unter Schutz gestellt werden, um eine klimaresistente Zukunft sicherzustellen. 

Das Renaturierungsgesetz muss über bereits bestehende Maßnahmen hinausgehen. Die EU-Mitgliedstaaten dürfen für ihre bisherige Trägheit nicht auch noch belohnt werden, indem sie noch nicht umgesetzte Maßnahmen der EU-Habitat- und Vogelschutzrichtlinie einfach anrechnen können. Schutzgebiete müssen nicht nur ausgeweitet werden, sondern sie müssen alle Lebensraumtypen mit jeweils spezifischen Zielen einbeziehen. Taschenspielertricks wie die Anrechnung der Förderung von Naturschutzmaßnahmen im Ausland darf es nicht geben. 

Statt nur das Jahr 2030 als Zielmarke zu setzen, gilt es, klare Zwischenschritte und -ziele zu definieren, um den Erfolg der Renaturierungsmaßnahmen sicherzustellen und zu verhindern, dass es zu weiteren Verzögerungen kommt. 

Zentral sind für mich folgende Punkte: 

  • Bis spätestens 2030 müssen 30 Prozent der Feuchtgebiete wieder vernässt werden, egal ob sie für die Landwirtschaft, die Forstwirtschaft oder zum Torfabbau entwässert wurden. 
  • Wildlebende Bestäuber müssen geschützt werden, ihre Populationen müssen besser beobachtet werden. 
  • Renaturierung unserer Gewässer, sodass mindestens 25.000 km freifließende Flüsse und Bäche entstehen.

Hier geht es zu meinem Brief an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.

Außerdem findet ihr hier das Positionspapier der Grünen Europafraktion zum EU-Renaturierungsgesetz.