Was ist ein CO₂-Budget?
ARTIKEL, Freitag, 26. April 2019
Im Oktober 2018 hat der Weltklimarat (IPCC) seinen Zwischenbericht zum 1,5 °C-Ziel veröffentlicht. Ergebnis: wenn die globale Erwärmung mit 66 % Wahrscheinlichkeit bei 1,5 °C gehalten werden soll, darf die Menschheit noch 420 – 570 Gigatonnen (Gt) CO₂ in die Atmosphäre entlassen. Für die 2 °C-Grenze beträgt die Menge zwischen 800 und 1200 Gt CO₂.
Aber was ist überhaupt ein „CO₂-Budget“? Die Klimaforschung kann berechnen, welche Menge – absolut gesehen – CO₂ noch ausgestoßen werden darf, um das Klima einigermaßen konstant zu halten. CO₂ verbleibt sehr lange in der Atmosphäre: durch geologische Prozesse wird es erst in Jahrtausenden wieder gebunden. Dabei ist es egal, ob die Emission 2020, 2040 oder 2060 erfolgt. Deshalb gilt: je früher wir CO₂ in den „einfachen“ Sektoren (Stromerzeugung, Gebäudeheizung) reduzieren, desto mehr Spielraum bleibt, um die schwierigeren Sektoren (Landwirtschaft, Industrie) anzugehen. Dies muss aber keine Einschnitte bedeuten. Mit intelligenten Lösungen können Energie- und Agrarwende vernünftig angegangen werden.
Aktuell werden jährlich weltweit etwa 40 Gt CO₂ ausgestoßen. Die USA und China sind die weltgrößten CO₂-Verursacher und müssen am meisten reduzieren. Deutschland hat für das 2 °C-Limit, basierend auf seinem 1,1%igen Anteil der Weltbevölkerung, gerade noch ca. 8-12 Gt. Für das 1,5 °C-Limit sind es entsprechend nur ca. 4,2 Gt. Von diesem Budget hat Deutschland bis heute allerdings schon 2,4 Gt verbraucht. Laut Stefan Rahmstorf müsste Deutschland 2036 aufhören, CO₂ auszustoßen, wenn man von 1,75 °C ausgeht – unvereinbar mit einem Kohleausstieg erst 2038. Es wird also höchste Zeit, einen Fahrplan für CO₂-Minderungen festzulegen, mit dem das Budget eingehalten wird.
Warum ist ein CO₂-Budget als Konzept so wichtig? Ursprünglich ging es in internationalen Verhandlungen, Selbstverpflichtungen oder Vorgaben um prozentuale CO₂-Minderungen relativ einem Basisjahr. Deutschland hatte sich zum Beispiel dazu verpflichtet, bis 2020 40% weniger Treibhausgase zu emittieren als 1990. Die EU hatte eine ähnliche Verpflichtung verabschiedet: bis 2020 20% weniger Emissionen und 20% mehr Energieeffizienz als 1990. Das Problem bei relativen Emissionsminderungen ist, dass bei Überschreitung der Vorgaben eine „Anrechnung“ auf künftige Ziele erfolgen müsste – was nicht der Fall ist.
Kipp-Punkte im Klimasystem
Der aktuelle Klimawandel hat viele Folgen. Viele sind unmittelbar einleuchtend: es wird wärmer. Durch die höheren Temperaturen ist mehr Energie in der Atmosphäre, und es kann mehr Wasserdampf aufgenommen werden (was zu Stürmen und Starkregenereignissen führen kann). Die Arktis erwärmt sich rascher, deshalb verändern sich atmosphärische Strömungen und es kommt zu mehr Wetterextremen. Grundsätzlich stellt ein Ungleichgewicht im Klimasystem also eine Gefährdung für unsere Sicherheit, unsere Gesundheit und für die Umwelt dar. Deshalb ist es so wichtig, die Kipp-Punkte zu vermeiden.
Kipp-Punkte sind für viele Menschen aber nicht intuitiv zu erfassen. Sie werden so genannt, weil das System dabei unumkehrbar in einen neuen Zustand „kippt“. Mit fortschreitendem Klimawandel nimmt die Gefahr des Überschreitens zu. Kipp-Punkte verursachen extreme Veränderungen in den lokalen Ökosystemen und darüber hinaus. Einer der Kipppunkte ist z.B. das Abschmelzen des arktischen Sommereises und die damit verbundene Abschwächung des Golfstroms.
Kipppunkte haben das Potential, die Erwärmung zu beschleunigen, sodass spätere CO₂-Minderungen nichts mehr nützen. Beispiel: Polareis reflektiert Sonnenstrahlen durch seine weiße Farbe. Schmilzt das Eis, gibt es mehr dunkle Meeresoberfläche, die das Sonnenlicht nicht reflektiert, sondern absorbiert und somit die Erwärmung anfacht.
Wenn ein Kipppunkt einmal überschritten ist, kann dies nicht mehr rückgängig gemacht werden, denn Kipppunkte sind keine Wipp-Punkte! Selbst wenn die Temperatur wieder auf 1,5°C über der vorindustriellen Zeit zurück geht, werden abgestorbene Korallen nicht mehr lebendig. Wenn die Ozeanversauerung einen bestimmten Punkt erreicht, können Kalkalgen keine Schalen mehr bilden und sterben aus. Es gibt weitere Effekte, die die globale Erwärmung weiter anheizen, wie z.B. das Auftauen von Permafrostböden: diese setzen Methan frei, welches selbst ein potentes Treibhausgas ist. Und das würde bedeuten, dass sich das CO₂-Budget immer weiter verkleinert.
Das 1,5°C-Ziel und seine Folgen
Selbst bei der Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5°C werden Ökosysteme und Menschen weltweit mit schwerwiegenden Folgen zu kämpfen haben. Zu erwarten sind häufigere Extremwetterereignisse.
Dazu gehören Dürren, Starkregen und mehr extreme Hitzetage. Der Meeresspiegel wird zwischen 0,26 und 0,77 m ansteigen. Durch die starke Aufnahme von CO₂ in die Ozeane wird das Meerwasser saurer, viele Organismen können sich so schnell nicht anpassen. Die Menge des jährlichen Fischfangs würde sich um 1,5 Mio. Tonnen reduzieren. Auch Ökosysteme an Land wären durch die Verschiebung von ganzen Klimazonen bedroht, denn betroffene Pflanzen können nicht so schnell „wandern“. Ähnliche Auswirkungen wären für die Landwirtschaft zu erwarten: bereits heute wird deshalb versucht, hitze- und trockenheitsresistente Getreidesorten zu züchten. Genau wie bei der Fischerei sind aber auch in der Landwirtschaft regelmäßige Ernterückgänge durch extremes Wetter zu erwarten.
Das 2°C-Ziel und seine Folgen
Im Wesentlichen sind die Folgen bei einer Erwärmung von 2°C ähnlich dem von 1,5°C. Allerdings sind diese wesentlich gravierender. Abbildung 1 zeigt die Risikobewertung (RFC = Reasons for Concern, Gründe zur Besorgnis) des Klimarats für verschiedene Szenarien . Es ist klar zu sehen, dass eine Erwärmung um 2°C sehr viel größere Auswirkungen auf Ökosysteme, Extremwetterereignisse, der globalen Verteilung und den Großen Einzelereignissen hat. Auch für ausgewählte von Menschen genutzte Ökosysteme ist der Unterschied zum 1,5°C-Ziel deutlich:
Bei einer Erwärmung von 2°C werden voraussichtlich alle Korallen absterben, die Arktisregion vollkommen eisfrei sein, Land-Ökosysteme massive Schäden erleiden und Überschwemmungen an Küsten verheerend sein. Allein das Abschmelzen des grönländischen Eisschildes würde einen Meeresspiegelanstieg um 13 m verursachen – was mehr als 10 Mio. Menschen beträfe. Zusätzlich wäre ein Fischverlust von jährlich 3 Mio. Tonnen zu erwarten und die Auswirkungen auf landbasierte Ökosysteme und die Landwirtschaft wären immens. Unsere Kinder verdienen ein Aufwachsen in intakter Natur. Sicher: Das Einhalten des 1,5 °C-Limits bedeutet harte Arbeit. Dennoch müssen wir es angehen und die Bedürfnisse zukünftiger Generationen ernst nehmen!
Die Rolle Deutschlands
Die Risiken werden auch in Deutschland hoch sein. Laut dem Umweltbundesamt wird es in Deutschland nicht mehr wie bisher im Durchschnitt nur 4-5 Hitzetage über 30°C geben, sondern bis zu 20. Daraus folgt natürlich zunehmende Trockenheit und damit eingeschränkte Wasserverfügbarkeit. Große Ernteausfälle in Milliardenhöhe wie 2018, Rhein-Niedrigwasser und Hitzestress in heimischen Wäldern werden also eher die Regel als die Ausnahme darstellen. Zusätzlich steigt die Wahrscheinlichkeit für Sturmfluten, Hochwasser und Starkregen. Mit allen Belastungen für Land- und Forstwirtschaft sowie der Infrastruktur. Deshalb ist auch die Anpassung an den Klimawandel notwendig.
Im eigenen Interesse sollte Deutschland also darauf hinarbeiten, seine selbst gesetzten Ziele zu erreichen. Das Emissionsreduktionsziel von 40% gegenüber dem Niveau von 1990 wird Deutschland verfehlen (aktuell sind bestenfalls 34% möglich). Die größten Einsparungen wurden in den Neunzigern erreicht, als die ineffiziente und schmutzige DDR-Wirtschaft abgewickelt wurde. Seitdem ist viel zu wenig passiert – und trotzdem soll noch bis 2038 Kohle verstromt werden! 2038 ist viel zu spät, wie Stefan Rahmstorf in seinem Artikel gut darstellt. Richtig ist: wir müssten 2036 schon CO₂-neutral sein, um die Wende wirklich hinzubekommen. Mit einem Kohleausstieg 2038 stehlen wir den kommenden Generationen ihre Zukunft. Kein Wunder also, dass weltweit Schüler*innen für einen ernsthaften Klimaschutz demonstrieren.