Was ist Natur wert?

Mit der neuen Ökonomie der Natur wird eine Entwicklung bezeichnet, die Natur in Form von (Ökosystem-)Leistungen und ökonomischen Kennzahlen zu bewerten. Diese Entwicklung hat sich aus verschiedenen, international verhandelten Protokollen, wie dem Kyoto-Protokoll und dem Pariser Klimaschutzabkommen, niedergeschlagen. In diesen Abkommen wurden Verfahren vereinbart, die Leistungen von Ökosystemen, wie Grundwasserlieferung, Speicherung von Treibhausgasemissionen, Biodiversität und mehr messbar machen sollen.

Obwohl es im Grundsatz sinnvoll ist, um deutlich zu machen, welche hohen ökonomischen Werte in der Natur entstehen, hat die Messbarmachung von Ökosystemleistungen zu großen Problemen geführt: es wurden in der Folge Mechanismen entwickelt, die einem ökologischen Ablasshandel gleichen. Wenn der Wert eines Ökosystems in € ausgedrückt werden kann, kann eine Zerstörung „vollständig“ mit einer Kompensationszahlung ausgeglichen werden. Auf diese Weise werden oft lokale Regelungen für den Schutz von Biodiversität ausgehöhlt und Gesetze unterwandert.

Nutzen von Biodiversitätszertifikaten

In gut überwachten Einzelfällen kann der Kauf eines Zertifikats die Zerstörung von Biodiversität an einem anderen Ort kompensieren oder insgesamt positiv beeinflussen. Hierzu braucht es aber ein lückenloses Monitoring von Umweltschützer*innen vor Ort und eine wissenschaftlich fundierte Methodik. Allerdings sieht es vor Ort oft anders aus. Von Verkäufern von Biodiversitätszertifikaten wird argumentiert, dass der Kauf der Zertifikate ein Ökosystem vor lokaler Übernutzung oder Zerstörung schützt, obwohl es das nötige Monitoring und wichtige Messungen nicht gibt.

Deshalb ist es oft schwer nachzuweisen, ob ein Ökosystem wirklich durch die lokale Bevölkerung bedroht ist. Problematisch ist auch, dass durch Kompensationszahlungen die Lebensgrundlage vieler Menschen zerstört wird, auch wenn sie das Ökosystem vor dessen Schutz nicht übernutzt hatten. So geschehen in Madagaskar, wo für die Abholzung von wertvollen Küstenwäldern ein Schutzgebiet im Inneren des Landes eingerichtet wurde. Dies durfte von der lokalen Bevölkerung nicht mehr betreten werden, obwohl nicht nachgewiesen war, dass der zum Schutzgebiet erklärte Wald im Landesinneren durch die lokale Bevölkerung gefährdet war. Dabei war aber die Zerstörung des Küstenwaldes durch den Bergbaukonzern Rio Tinto für den Abbau von Titanoxid bereits beschlossene Sache.

„Gleichzeitig findet sich in den Broschüren heute nur: ‚Rio Tinto betreibt Bergbau, der ein Netto-Positiv-Resultat für die Biodiversität hat.‘ Das ist doch pervers.“

– Jutta Kill, Biologin und Expertin für Biodiversitäts-Offsets im Interview mit der Heinrich Böll-Stiftung

Eine solche Praktik mit Ausschluss von Akteuren vor Ort ist exklusiv, kolonialistisch und vor allem nicht zielführend. Was es braucht, ist die Vermeidung der Biodiversitätszerstörung, nicht ihre Legitimation durch vermeintliche Kompensation. Denn nur die Vermeidung von Zerstörung egal wo auf der Welt, kann das massive Artensterben, in dem sich der Planet befindet, aufhalten. Anstatt also weiterhin auf Kompensationszahlungen als Legitimation für die Zerstörung von Lebensräumen zu setzen, müssen starke gesetzliche Regelungen her, die den Verlust von Biodiversität aufhalten. In entwickelten Ländern ist das in erster Linie die Bereitstellung von Flächen, die ausschließlich als Rückzugsräume dienen. Zusätzlich ist die Auflage von Fonds sinnvoll, die Biodiversitätszerstörung in ärmeren Ländern durch Technologie und Know-How vermeiden.

Europäische Initiativen für mehr Biodiversität

Die Natura-2000 Flächen der EU sind ein guter Anfang, müssen aber gestärkt und besser geschützt werden. Nationale Regierungen dürfen nicht das Recht haben, Nationalparks wie den Bialowieza in Polen einfach zu roden. Trotz einer EuGH-Entscheidung, die die weitere Rodung des Waldes unterbinden soll, gibt es keine ausreichenden Kontrollen seitens der EU, dass dieses Urteil auch eingehalten wird. Somit muss sie sich auf Berichte von lokalen Aktivisten und NGOs verlassen.

Überhaupt brauchen wir für eine intakte Natur mehr Wildnisflächen. Deshalb wollen wir GRÜNEN die Wildnisflächen in der EU möglichst bis 2030 verdoppeln. Gerade Deutschland muss hier mit gutem Beispiel vorangehen und sein selbst beschlossenes Ziel von 2 (!) Prozent Wildnis bis 2020 umsetzen. Mit Wildnisflächen ist es aber nicht getan. Wenn wir die Artenvielfalt erhalten wollen, muss auch die Landwirtschaft mit einer echten Agrarwende in Richtung ökologischem Anbau mit weniger Chemikalien und einer vielfältig strukturierten Landschaft umgewandelt werden.