Raus aus den Fossilen – nicht nur im Energiesektor

Seit dem Beginn des zweiten Weltkriegs wird der Großteil aller Grundstoffe für die Chemieindustrie, die in einer Vielzahl unserer alltäglichen Produkte enthalten sind, aus Erdöl hergestellt. Das war nicht immer so. Vor dem zweiten Weltkrieg war Steinkohlenteer, der bei der Herstellung von Leuchtgas aus Kohle gewonnen wurde, der wichtigste Grundstoff der organischen Chemie. Der Anteil der Petrochemie (Erdölchemie) an der Gesamterzeugung organischer Chemikalien lag in den USA 1921 noch bei 0,1% und im Jahr 1971 schon bei 96%. Der Grund dafür ist einfach: Die Verfahren zur Herstellung aus Erdöl sind im Vergleich wesentlich weniger energieintensiv und gleichzeitig ergiebiger – damit also produktiver und kostengünstiger. Umso schlimmer ist es, dass vom weltweit geförderten Erdöl weniger als 10 % für die organische Chemie verarbeitet werden. Der Löwenanteil wird einfach in Kraftwerken oder Motoren verbrannt. Das Problem liegt auf der Hand: Wenn die weltweiten leicht zugänglichen Erdölreserven einmal erschöpft sind, muss viel mehr Energie aufgewandt werden, um die benötigten Chemikalien aus Kohle herzustellen. Dazu kommt, dass nicht abbaubare Chemikalien und Kunststoffe  schwerwiegenden Schaden an der Umwelt anrichten, während leicht abbaubare die Klimakrise anheizen, denn aus ihnen entsteht Kohlendioxid.

Chemie aus Pflanzen?

Chemische Grundstoffe können auch aus biologischen Komponenten, wie z.B. Algen oder bestimmten Bakterienstämmen gewonnen werden. Auch komplexere Kohlenstoffketten können entweder aus den biologischen Grundstoffen aufgebaut, oder direkt biotechnologisch gewonnen werden. So fällt bei der Herstellung von Biokraftstoffen aus Rapsöl z.B. Glycerin in großen Mengen an, das in der Industrie als Schmierstoff und Weichmacher verwendet und auch als Reaktant bei der Herstellung von Kunst- und Farbstoffen sowie Mikrochips genutzt wird. Problematisch ist dabei aber, dass der Flächenverbrauch für die Herstellung des Biokraftstoffs viel zu hoch ist. Auch die einzellige Grünalge Chlorella enthält ein Enzym, mithilfe dessen Kohlenwasserstoffe hergestellt werden können. Wirtschaftlich sind diese Verfahren heute – und auch auf absehbare Zeit – nicht darstellbar, schon wegen des enormen Energieaufwands. Es ist rein ökologisch betrachtet deshalb sinnvoller, die Erdölreserven nicht in die Luft zu pusten, sondern dafür Sorge zu tragen, dass Erdöl nach und nach nur noch für die Produktion dieser grundlegenden Chemikalien genutzt wird. Was allerdings nichts daran ändert, dass eine Freisetzung des enthaltenen Kohlenstoffs als Kohlendioxid vermieden werden muss.

Es lässt sich viel Einsparen

Es ist deshalb wichtig, den Kohlenstoff aus dem Erdöl im Kreislauf zu halten, also dafür zu sorgen, dass „Abfallprodukte“, die in vielen Verfahren anfallen, in anderen Verfahren weiterverwendet werden und schlussendlich wieder in die Grundstoffproduktion einfließen. Um diesen Punkt zu verdeutlichen, will ich hier kurz eine Geschichte aus meiner früheren Tätigkeit im Labor erzählen: Für Spurenanalytik, also zum Nachweis extrem geringer Mengen der gesuchten Stoffe mit sehr empfindlichen Messgeräten, braucht man als Träger hochreine Lösungsmittel, die unter enormem Aufwand hergestellt werden (und entsprechend teuer sind). Nach der Verwendung ist der Verunreinigungsgrad sehr gering, aber für weitere Analysen natürlich zu hoch. Problemlos hätte man die Lösungsmittel in chemischen Syntheseverfahren weiterverwenden können, für die weniger reine Substanzen vollkommen ausreichen. Auf Anfrage beim Hersteller, ob wir die genutzten Lösungsmittel zur weiteren Nutzung zurücksenden könnten, hieß es, eine weitere Nutzung sei nicht vorgesehen. Letztlich haben wir für die Entsorgung gezahlt, obwohl unsere „Abfälle“ sauberer waren als die „synthesereinen“ Lösungsmittel, die man frisch bestellen konnte. Eine Lose-Lose-Situation und ein ökologischer wie volkswirtschaftlicher Unsinn.

Bild: Glas-Algenreaktor | IGV Biotech [CC BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], from Wikimedia Commons